Lisa geht zum Teufel (German Edition)
auch wenn während der ersten Kilometer vom Meer hinauf in die Berge ein Natur gewordenes Landschaftsgemälde nach dem anderen an ihnen vorbeizog. Aber diese Ablenkung fand bald ein jähes Ende. Eine schier endlose monotone Einöde aus in Reih und Glied stehenden Olivenbäumen, die sich über Bergkuppen bis hin zum Horizont erstreckten, lag auf halber Strecke nach Madrid vor ihnen. Kein Wunder, dass der spanische Dichter Antonio Machado diese Gegend als »gekämmtes Land« bezeichnet hatte. Auch wenn Lisa Oliven in Salaten mochte und wie viele Spanier gelegentlich in Olivenöl getränktes Brot ohne weitere Beilagen aß, reichte ihre Liebe für diese Frucht nicht aus, um dem anhaltenden Beige und Grün noch viel länger etwas abgewinnen zu können. Die Monotonie der Landschaft bot zu viel Raum, um an die bevorstehende Begegnung mit Madrid und Felipe zu denken. Rafael hingegen schien förmlich aufzublühen. Sein Blick klebte geradezu am Fenster.
»Weißt du, wie man feststellt, ob eine Olive reif ist?«, fragte er unvermittelt und sah sie zum ersten Mal seit ungefähr einer halben Stunde direkt an.
»Keine Ahnung«, erwiderte Lisa und stellte fest, dass es Rafael tatsächlich gelungen war, ihr eben eingeschlafenes Interesse an Oliven zu wecken.
»Sie müssen außen violett und innen weiß sein. Durchgängig helles Fleisch, das sich leicht vom Kern lösen lässt. Dann ist eine Olive perfekt«, schwärmte er und sah hinaus auf die Felder.
»Ist das wirklich so wichtig bei einer Salatbeilage?«, fragte sie mehr aus Interesse als aus Höflichkeit.
»Für einen Salat vielleicht nicht. Für die Gewinnung von Öl schon. Das grüne Gold Spaniens …«, sagte er so bedeutungsvoll, dass Lisa sich darüber amüsierte.
»Warum nur neigt ihr Spanier dazu, einfache Dinge pathetisch zuzuspitzen?«
»Zuspitzen? Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele Olivenbäume wie in Spanien. Hier werden jährlich fast eine Million Liter Öl produziert. Rechne selbst: Für einen Liter Virgen zahlst du hundertfünfzig Euro und mehr.«
»Virgen?«, fragte Lisa und überlegte, ob er nun auch noch die Jungfrau Maria mit ins Spiel bringen würde.
»Die erste Pressung. Das Öl muss leicht bitter und scharf, gleichzeitig aber auch fruchtig sein. Es darf keine Essignote haben. Man sagt, dass man damit eine Portion Leben zu sich nimmt«, schwärmte er.
Lisa wusste, dass Oliven reich an Vitaminen und Mineralstoffen waren, und sie hatte sogar in einem Artikel gelesen, dass sie das Cholesterin regulierten, aber dass sie ein Quell ewigen Lebens sein sollten, war ihr neu. Lisa musste über Rafaels Pathos schmunzeln.
»Du glaubst mir nicht …«, sagte er mit prüfendem Blick.
»Quell des Lebens … Du klingst wie ein Poet.«
Rafaels Schmunzeln verriet, dass er sich über dieses Kompliment freute, seinen Vortrag führte er trotzdem fort: »Das Öl beinhaltet Antioxidantien, die den Verfall der Körperzellen aufhalten. Das verjüngt den ganzen Körper. Das ist zwar nicht poetisch, aber dafür umso wirkungsvoller.«
Lisa war beeindruckt. »Woher weißt du das alles?«, fragte sie.
»Hab mal auf einer Olivenplantage gearbeitet. Harter Job. Früher hat man die Oliven abgerecht. Heute schütteln Maschinen an den Bäumen. Nur das Netz, das man darunterspannt, ist gleich geblieben.«
»Warst du mal Olivenbauer?«, fragte Lisa, obwohl sie in Anbetracht des ihr bisher Bekannten eher auf eine Hilfsarbeitertätigkeit tippte, die auch besser zu seinem Dasein als Platzwart in Felipes Golfclub passen würde.
»Leider nein. Ich hatte nicht das Glück, eine Plantage von meinen Eltern zu übernehmen. Es war nur ein Job.«
»Was hast du gelernt, beruflich?« Lisa wollte es nun doch genau wissen. Rafael schien für einen Moment zu überlegen, bevor er ihr antwortete. Hatte er etwas vor ihr zu verbergen?
»Ich war mal Investmentbanker«, sagte er schließlich.
Mit allem hätte Lisa gerechnet, nur nicht damit. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Verspekuliert?«
Rafael nickte nur und blickte aus dem Fenster. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er keine weiteren Nachfragen wünschte.
Lisa spürte die unsichtbare Mauer, die er um sich herum zog, und bereute augenblicklich, so neugierig gewesen zu sein. Der Preis dafür war klar: eine weitere Runde Schweigen. Gottlob lichteten sich die Olivenfelder am Horizont, so dass sie sich die restliche Stunde bis Madrid mit weiteren Landschaftsstudien und der Betrachtung suburbaner Architektur der Madrider Vororte
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