Lisa geht zum Teufel (German Edition)
Schmiergelder von ihm bekommen.
Immerhin in diesem Punkt pflichtete Rafael ihr bei. »Es ging damals so gut wie gar nichts, ohne irgendjemanden zu schmieren«, konstatierte er.
»Was hast du damals genau gemacht?«, fragte Lisa.
»Termingeschäfte«, antwortete er knapp und wirkte dabei etwas abwesend.
»Also warst du an der Börse?«
Rafael nickte nur.
Irgendetwas Schlimmes musste in dieser Zeit passiert sein. Lisa fasste den Mut, ihn direkt darauf anzusprechen. »Was ist schiefgelaufen? Vom Investmentbanker zur Olivenfarm ist es ja ein weiter Weg.«
Rafael nickte erneut und ging einen Moment lang schweigend neben ihr her, bevor er endlich anfing zu sprechen. »So ziemlich alles«, sagte er. »Du kannst an der Börse in kurzer Zeit unglaublich viel Geld machen. Wie das funktioniert, hab ich in der Bank gelernt. Mit Day-Trading fing’s bei mir an. Du schaust dir täglich Kursbewegungen an. Fällt der Kurs eines soliden Werts, dann ist er so gut wie sicher am nächsten Tag wieder oben. Aber das sind nur Peanuts. Ein Nebenverdienst, höchstens ein paar hundert Euro pro Woche. Ich wollte mehr, hab mich selbständig gemacht. Meine Frau war schwanger. Ich wollte ihr ein schönes Leben bieten.«
»Mit was hast du gehandelt?«, fragte Lisa.
»Optionen auf Rohstoffpreise. Das ist wie eine Wette. Du wettest darauf, dass jemand anders danebenliegt. Du schmierst ein paar Leute und kriegst Informationen einen Tick früher.«
»Das klingt ja so, als könnte nichts schiefgehen«, sagte Lisa.
»Ja, nur irgendwann ist man so gierig nach mehr, dass man größere Summen einsetzt, und dann läuft es einmal nicht so wie geplant …«
Rafael musste also alles verloren haben. Dies würde seinen sozialen Abstieg erklären, und so niedergeschlagen, wie er jetzt auf sie wirkte, musste sie ihn dringend aufmuntern. Gut, dass sie den Eingang des Parks erreicht hatten. Dieses schöne Refugium hatte sie weiß Gott wie oft vom Großstadtblues oder depressiven Momenten, die an der Seite von Felipe unvermeidbar waren, befreit. Den Madrilenen ging es genauso. Der Park hatte etwas Belebendes, das gute Laune machte. Liebespärchen schlenderten Hand in Hand durch die Alleen, Familien belagerten den Eisstand oder fuhren im Tretboot auf dem künstlich angelegten See, der sich »Lago de El Retiro« nannte und direkt am »Monumente a Alfonso XII« stand, einem Prachtbau, in dessen Mitte das Reiterstandbild des gleichnamigen spanischen Königs thronte und der von zwei aufgefächerten halbrunden Säulengängen umrahmt war.
Lisa musste zweifelsohne bemerkt haben, dass es ihm von Minute zu Minute schlechterging. Sie wollte ihm sogar ein Eis spendieren, hatte ihn beharrlich darauf aufmerksam gemacht, wie schön diese Parkanlage sei, und um ein Haar hätte sie ihn noch dazu überredet, sich eine Ausstellung im Palacio de Cristal anzusehen, der allein schon aufgrund seiner verspiegelten Innenflächen rein architektonisch gesehen einen Besuch wert sei. Auch einen Abstecher zum Palacio de Velázquez hatte er verneint, weil sein Kopf bereits so von Bildern aus seiner Vergangenheit überflutet war, dass sein Gehirn sich wie ein überstrapazierter Muskel regelrecht angeschwollen anfühlte und bereits gegen die Schädeldecke zu drücken schien.
Der Park und sein fröhliches Innenleben waren für Rafael pures Gift, dessen Wirkung noch schlimmer war als erwartet. Lisa konnte nicht wissen, wie oft er hier mit Carmen nach dem Kindergarten spazieren gegangen war. Seine Carmen. Hier hatten sie zusammen Eis gegessen, auf der Wiese am See gesessen. Die Erinnerung daran war auf einmal so intensiv, dass er Carmens kleine zarte Hand förmlich in seinen Händen spüren konnte. Ausgerechnet jetzt musste sich ein Vater mit seiner Tochter, die etwa so alt wie Carmen damals sein dürfte, neben sie setzen. Wie ausgelassen sie auf ihrem Papa herumturnte. Rafael bemerkte, dass seine Augen feucht wurden.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Lisa besorgt.
Rafael nickte, wandte sich ab und versuchte, sich die Augen trockenzuwischen, ohne dass sie es mitbekam – leider ohne Erfolg.
»Dieses verfluchte Madrid. Wir hätten nicht herkommen sollen«, sagte sie, vermutlich auch deshalb, weil es ihr ähnlich ergehen musste.
»Nein. Man kann nicht ewig vor seiner Vergangenheit davonlaufen«, rang er sich tapfer ab, obwohl er gerade das Gleiche gedacht hatte. »Neulich, als wir bei dir vor dem Haus zusammensaßen … Das Gespräch über Felipe und eure Ehe …«, begann Rafael.
»Du
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