Lisa geht zum Teufel (German Edition)
eindeutig mehr, als Lisa im Moment verdauen konnte.
Der einzige Gedanke, der Rafael jetzt noch Kraft gab, war die Hoffnung, Carmen eine Freude machen zu können. Die Gewissheit, Lisa nie wiederzusehen, tat weh. Nun hatte er schon den dritten Gebrauchtwagenhändler in Marbella aufgesucht und gehofft, dass ihn dies ablenken würde, doch immer, wenn ihm der Autohändler eines seiner Fahrzeuge zeigte, hatte er Lisas Blick vor Augen, den Abschied am Tor zu ihrem Garten. Er war tieftraurig gewesen.
»Nur neun acht. Servo. Neue Reifen«, sagte der Autohändler und riss Rafael erneut aus seinen Gedanken. »Der hat gerade mal fünfundvierzigtausend Kilometer drauf«, schwärmte er weiter und öffnete sogleich die Tür eines pinkfarbenen Minis.
»Nur« war allerdings relativ, aber zumindest innerhalb seines Budgets. Warum konnte sich Carmen nicht einen stinknormalen SEAT wünschen? Er hätte ihr einen guten Jahreswagen von dem Geld kaufen können.
»Sie haben ein Jahr Garantie auf alles. Stereoanlage, Anschluss für einen MP3-Player. Das ist den jungen Leuten heutzutage wichtig.«
Rafael erinnerte sich, dass er Carmen einmal mit Earplugs im Ohr hatte nach Hause kommen sehen. Das würde ihr sicher gefallen.
»Möchten Sie ihn Probe fahren?«, fragte der Händler.
Ohne Führerschein? Ein Ding der Unmöglichkeit! Rafael hatte ihn nach dem Unfall verloren und keinen neuen mehr beantragt.
»Mir ist nur wichtig, dass der Wagen an eine Adresse in Madrid geliefert wird.«
»Das kostet extra.«
»Ich habe nur neuntausendachthundertfünfzig«, gestand Rafael und hoffte, dass der Händler mit sich reden ließ. Die Preise in Madrid waren generell höher, und einen Mini mit dieser Ausstattung und in Carmens Traumfarbe – eine Sonderlackierung – zu bekommen grenzte sowieso schon an ein Wunder.
»Das wird schwierig. Die Kosten für die Überführung, verstehen Sie?«, sagte der Händler.
»Es ist ein Geschenk für meine Tochter. Ich habe wirklich nicht mehr Geld«, sagte Rafael. Für einen Moment überlegte sein Gegenüber, bis er schließlich nickte.
»Mal sehen, was sich machen lässt.«
Rafael fiel ein Stein vom Herzen. War das vielleicht eine neue Chance, etwas gutzumachen? Rafael wusste es nicht, aber eines war gewiss: Sein Leben würde weiter so verlaufen wie bisher. Der Strand und die Mülltonnen der Reichen warteten auf ihn – und natürlich Roberta, die heute noch nichts zu fressen bekommen hatte …
Der Weg zurück zu ihrem Haus vorbei an den kleinen Läden erschien Delia an diesem Tag wie ein Spießrutenlauf. Jeder kannte sie, vom Metzger bis zum Bäcker. Sogar die Politesse, die für gewöhnlich am späten Nachmittag in ihrem Viertel Strafzettel an die Windschutzscheiben der falsch parkenden Autos steckte, hatte sich gewundert, wo sie denn die letzten Tage abgeblieben war. Für gewöhnlich unterhielt Delia sich gerne mit ihnen. Dafür liebte sie dieses Viertel. Es gab einem das Gefühl, nie ganz allein zu sein, doch heute war an Konversation nicht zu denken. Zu groß war die Sorge um Rafael, der sich anscheinend heftiger als gedacht in Lisa verliebt haben musste. Ob Lisa vielleicht doch anders reagiert hätte, wenn sie ihr früher reinen Wein eingeschenkt hätten? Denkbar, dass Rafael diesbezüglich doch recht hatte, aber eines ließ sich nicht von der Hand weisen: Rafael und Lisa hätten sich niemals angenähert, wenn sie ihr schon viel früher die Wahrheit gestanden hätten. Die Politik der »schrittweisen Annäherung«, die mit einer »schrittweisen Distanzierung« von Felipe einhergegangen war, hatte ihm Glück gebracht, wenn auch nur, wonach es jetzt aussah, Glück für eine Nacht. Über Liebesangelegenheiten oder verpasste Gelegenheiten nachzudenken brachte sowieso nichts. Das Schicksal hatte fast überall die Hand mit im Spiel.
»Hallo, Delia«, rief ihr Ronaldo aus der Reinigung zu, an der sie gerade vorbeilief.
Doch noch immer hatte Delia nicht die geringste Lust auf den üblichen Plausch. Rafael musste sie mit seiner abgrundtiefen Tristesse angesteckt haben. Selbst Alfonso hatte ihr bei ihrem Treffen sofort angemerkt, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Umso mehr hatte er sich gefreut, dass er ihr weiterhelfen konnte. Wie gut, dass fast jeder im Bauamt Dreck am Stecken hatte. Es gab immer jemanden, der am längeren Hebel saß, und Alfonsos Hebel als Chef gleich mehrerer Abteilungen war eindeutig einer der effektivsten. Die angebliche »Flurbereinigung« hatte sich als ein Projekt in weiter Ferne
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