Little Bee
schönen Dinge, die ich hatte, nicht besaß - beispielsweise einen wundervollen Batman-Sohn - und sie ihr Leben daher höchstwahrscheinlich als weniger erfüllt empfand.
An diesem Tag begannen meine Mitarbeiterinnen um halb elf, es war noch niemand da. In der Redaktion waren noch die Putzfrauen zugange. Sie saugten Staub, wischten die Schreibtische ab und legten die gerahmten Fotos der schrecklichen Freunde meiner Mitarbeiterinnen mit dem Gesicht nach unten hin, um zu beweisen, dass sie darunter Staub gewischt hatten. Diesen Aspekt der Arbeit bei Nixie musste eine Chefredakteurin mit einem Lächeln ertragen. Bei Vogue oder Marie Claire saßen die Redakteurinnen um acht Uhr in Chloe gewandet am Schreibtisch und nippten grünen Tee. Dafür sah man sie aber auch nicht um Mitternacht CECI N'EST PAS PRET-Ä-PORTER auf einen Karton kritzeln, der an ein ehrwürdiges Pariser Modehaus zurückging.
Clarissa setzte sich auf die Ecke meines Schreibtischs und ich mich dahinter, und dann schauten wir durch das Großraumbüro zu dem Trupp schwarzer Gesichter, die die Stoffmuster und Starbucks-Becher vom Vortag wegzauberten.
Wir sprachen über die anstehende Ausgabe. Der Anzeigenverkauf war in diesem Monat ungewöhnlich gut gelaufen - vielleicht waren die Mitarbeiterinnen angesichts der schwindelerregend gestiegenen Preise der Straßendealer gezwungen gewesen, mehr Zeit im Büro zu verbringen -, und uns wurde klar, dass wir mehr redaktionelles Material als Platz in der Zeitschrift hatten. Ich hatte ein »Real Life«-Feature über eine Frau, die aus Bagdad fliehen wollte, das meiner Ansicht nach unbedingt hinein sollte. Clarissa hingegen hatte einen Bericht über eine neue Art von Orgasmus, den man anscheinend nur mit seinem Chef erleben konnte. Wir überlegten, welchen Artikel wir bringen sollten. Ich war nicht richtig bei der Sache und schrieb Andrew eine SMS, wie es ihm gehe.
Im Flachbildfernseher lief BBC News 4 ohne Ton. Gerade wurde über den Krieg berichtet. Rauch stieg über einem der beteiligten Länder auf. Fragen Sie mich nicht, über welchem - ich hatte längst den Überblick verloren. Der Krieg dauerte schon vier Jahre. Er hatte in dem Monat begonnen, in dem mein Sohn geboren wurde, und sie waren gemeinsam gewachsen. Zuerst waren beide ein Riesenschock und verlangten ständige Aufmerksamkeit, doch mit der Zeit wurden sie selbstständiger, und man konnte sie auch mal eine Weile aus den Augen lassen. Manchmal brachte mich ein ganz bestimmtes Ereignis dazu, den einen oder anderen - meinen Sohn oder den Krieg - zu betrachten und ihm meine ganze Aufmerksamkeit zu widmen, und dann dachte ich immer, meine Güte, bist du groß geworden!
Ich wollte wissen, wie der neue Orgasmus funktionierte, und blickte von meinem Handy auf.
»Wieso geht das nur mit dem Chef?«
»Das hat etwas mit verbotenen Früchten zu tun. Es gibt dir einen besonderen Kick, weil du gegen das Büro-Tabu verstößt. Hormone und Neurotransmitter und so weiter. Du weißt schon, Wissenschaft.«
»Hm. Ist das wirklich wissenschaftlich erwiesen?«
»Jetzt komm mir nicht mit Statistiken, Sarah. Wir sprechen über eine völlig neue Dimension sexuellen Vergnügens. Wir nennen sie den C-Punkt, C wie Chef. Wie findest du das?«
»Genial.«
»Vielen Dank, Darling. Wir tun unser Bestes.«
Innerlich kamen mir die Tränen beim Gedanken an Frauen im ganzen Land, die sich von Vertretern des mittleren Managements mit blankgewetzten Anzughintern Vergnügen erhofften. News .4 hatte vom Nahen Osten nach Afrika geschaltet. Andere Landschaft, gleiche schwarze Rauchsäule. Gelb verfärbte Augen blickten mich mit derselben Gleichgültigkeit an, die ich bei Andrew gesehen hatte, bevor ich mich abwandte und zur Arbeit fuhr. Wieder sträubten sich die Härchen auf meinen Armen. Ich machte die drei Schritte zum Fenster, das auf die Commercial Street hinausging, und legte die Stirn an die Scheibe, was ich manchmal tue, wenn ich nachdenken möchte. »Alles in Ordnung, Sarah?«
»Natürlich. Hör mal, würdest du so lieb sein und uns einen Kaffee holen?«
Clarissa ging zu unserer bescheidenen Kaffeemaschine, unserem Pendant zum hauseigenen Salon de the bei Vogue. Unten auf der Straße hielt ein Polizeiauto und parkte genau vor dem Haus im absoluten Halteverbot. Zwei uniformierte Beamte stiegen aus und schauten einander über das Dach des Streifenwagens hinweg an. Einer hatte kurzes blondes Haar, der andere eine kahle Stelle, rund und ordentlich wie die Tonsur eines Mönchs. Ich
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