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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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Asylgesetze mehr brauchen.«
    »Du willst immer noch, dass ich sie rauswerfe, oder?«
    Er drehte mich zu sich herum. Ich las etwas in seinen Augen, das an Panik grenzte, und das verunsicherte mich aus Gründen, die ich nicht begreifen konnte.
    »Nein«, sagte er, »absolut nicht. Behalte sie hier und kümmere dich um sie. Aber, bitte, bitte, wirf nicht dein eigenes Leben weg. Dafür bedeutest du mir zu viel. Unsere Beziehung bedeutet mir zu viel.«
    »Oh, ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht.« Ich seufzte. »Ich vermisse Andrew.«
    Lawrence nahm die Hände von meiner Taille und wich zurück.
    »Oh, bitte, so war es nicht gemeint. Er konnte nur so gut mit alltäglichen Dingen umgehen. Er war so sachlich. Er würde jetzt einfach sagen: Stell dich nicht so an, Sarah. Natürlich machst du weiter mit deinem Job. Ich würde es schrecklich finden, dass er so mit mir redet, aber ich würde weitermachen, und er würde natürlich recht behalten, was irgendwie das Allerschlimmste wäre. Dennoch vermisse ich ihn, Lawrence. Seltsam, dass man jemanden wie ihn so vermissen kann.«
    Lawrence stand mir gegenüber an die Arbeitsplatte gelehnt und sah mich an. »Und, was willst du von mir? Soll ich mich auch aufs hohe Ross setzen wie Andrew?«
    Ich lächelte. »Ach, komm her.«
    Ich umarmte ihn und atmete den weichen, sauberen Geruch seiner Haut ein. »Ich bin mal wieder unmöglich, was?«
    »Du hast einen schweren Verlust erlitten. Es wird eine Weile dauern, bis du dich wieder gesammelt hast. Es ist gut, dass du dein Leben auf den Prüfstand stellst, aber du solltest lieber nichts überstürzen. Wenn dir in sechs Monaten immer noch danach ist, deinen Job aufzugeben, dann mach es auf jeden Fall. Im Augenblick aber bringt er dir Geld, um etwas Sinnvolles zu tun. Es ist durchaus möglich, aus einer nicht idealen Lage heraus Gutes zu tun. Mein Gott, wer wüsste das besser als ich?«
    Ich kämpfte mit den Tränen. »Ein Kompromiss, was? Erwachsenwerden ist schon traurig. Man fängt an wie mein Charlie. Am Anfang glaubt man, man könnte alle Bösen töten und die Welt retten. Dann wird man ein bisschen älter, vielleicht wie Little Bee, und begreift, dass etwas vom Bösen in der Welt in einem selbst steckt, dass man ein Teil davon ist. Und wenn man noch ein bisschen älter ist und noch ein bisschen bequemer, beginnt man sich zu fragen, ob das Böse, das man in sich entdeckt hat, wirklich so schlimm ist. Und dann fängt man an, über zehn Prozent zu reden.«
    »Vielleicht gehört das einfach zur Entwicklung eines Menschen, Sarah.«
    Ich seufzte und schaute wieder hinaus zu Little Bee. »Vielleicht ist die ganze Welt ein Entwicklungsland.«

    *

    Sarah musste eine ganz wichtige Entscheidung für ihre Arbeit treffen und hatte sich deshalb freigenommen. Sie sagte am Morgen zu mir und Lawrence und Charlie: Kommt, wir wollen ein Abenteuer erleben. Ich war glücklich, weil Sarah lächelte. Ich war auch froh, denn es war viele Jahre her, dass ich ein Abenteuer erlebt hatte.
    Was ist ein Abenteuer? Das kommt darauf an, wo man beginnt. In eurem Land verstecken sich kleine Mädchen in der Höhle zwischen Waschmaschine und Gefriertruhe und stellen sich vor, sie wären im Dschungel, mit grünen Schlangen und Affen um sich herum. Ich und meine Schwester versteckten uns in einer Höhle im Dschungel, mit grünen Schlangen und Affen um uns herum, und stellten uns vor, wir hätten eine Waschmaschine und eine Gefriertruhe. Ihr lebt in einer Welt voller Maschinen und träumt von Lebewesen mit schlagenden Herzen. Wir träumen von Maschinen, weil wir sehen, wohin die schlagenden Herzen uns gebracht haben.
    Als wir Kinder waren, ich und Nkiruka, gab es eine Stelle im Dschungel in der Nähe unseres Dorfes, eine geheime Stelle, und dort spielten wir Häuser. Als wir dieses Abenteuer zum letzten Mal erlebten, war meine große Schwester zehn Jahre alt und ich acht. Wir waren eigentlich schon zu groß für das Spiel und wussten es beide, beschlossen aber, unseren Traum ein letztes Mal zu träumen, damit wir ihn in unserer Erinnerung verankern konnten, bevor wir für immer daraus erwachten.
    Wir schlichen uns in der stillsten Stunde der Nacht aus unserem Dorf. Es war in dem Jahr, bevor die Unruhen um das Öl begannen, und vier Jahre, bevor meine Schwester anfing, den älteren Jungen zuzulächeln, es war also eine friedliche Zeit für unser Dorf. An der Straße, wo die Häuser endeten, standen keine Wachposten, und wir gingen hinaus, ohne dass jemand fragte,

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