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Little Brother

Little Brother

Titel: Little Brother Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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mussten einfach nach Hause kommen. Ich dachte sogar an ein Taxi, aber wir hatten nicht mehr genug Geld, um uns das zu erlauben.
    Also gingen wir zu Fuß. An der Ecke warfen wir ein paar Münzen in den Automaten des San Francisco Chronicle und hielten an, um die ersten paar Seiten zu lesen. Die Bombenexplosionen waren zwar fünf Tage her, aber die Titelseite war immer noch voll davon.
    Frau Strenger Haarschnitt hatte davon gesprochen, dass sie "die Brücke" hochgejagt hatten, und ich war davon ausgegangen, dass sie die Golden Gate Bridge meinte; aber damit lag ich daneben. Die Terroristen hatten die Bay Bridge gesprengt.
    "Warum zum Teufel würde jemand die Bay Bridge hochjagen?", fragte ich. "Golden Gate ist doch die auf allen Postkarten." Selbst wenn du noch nie in San Francisco warst, weißt du höchstwahrscheinlich, wie Golden Gate aussieht: Das ist diese große orangefarbene Hängebrücke, die in einem dramatischen Schwung von der alten Militärbasis "The Presidio" hinüber nach Sausalito führt, wo sich all die niedlichen Weinland-Städtchen finden mit ihren Räucherkerzen-Läden und Kunstgalerien. Sie ist einfach höllisch malerisch und das Symbol schlechthin für den Bundesstaat Kalifornien. Im Disneyland-Abenteuerpark Kalifornien gibts gleich am Eingang einen Nachbau von Golden Gate, über den eine Einschienenbahn führt.
    Deshalb war ich ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass man sich, wenn man eine Brücke in San Francisco sprengen würde, die Golden Gate aussuchen würde.
    "Wahrscheinlich sind sie von all den Kameras und dem Überwachungszeug abgeschreckt worden", sagte Jolu.
    "Die Nationalgarde checkt Autos auf beiden Seiten, und dann noch die Selbstmörderzäune und dieser Kram." Seit Golden Gate 1937 freigegeben worden war, sprangen die Leute da runter - nach dem tausendsten Selbstmord anno 1995 haben sie aufgehört mitzuzählen.
    "Ja", sagte Vanessa. "Und außerdem führt die Bay Bridge wirklich irgendwo hin." Die Bay Bridge verbindet Downtown San Francisco mit Oakland und Berkeley, Wohnsiedlungen an der East Bay für viele der Menschen, die in der Stadt arbeiten. Die Gegend ist eine der wenigen in der Bay Area, in der ein Normalsterblicher sich ein Haus leisten kann, in dem er die Beine ausstrecken kann, außerdem gibts dort eine Universität und ein bisschen Industrie. Die BART führt zwar auch unter der Bay durch und verbindet die beiden Städte, aber der meiste Verkehr findet auf der Bay Bridge statt. Golden Gate war ne hübsche Brücke für Touristen und reiche Pensionäre drüben im Weinland, aber hauptsächlich war sie zu Dekozwecken da. Die Bay Bridge ist - war - das Arbeitstier der Stadt.
    Ich dachte einen Moment drüber nach. "Ihr habt Recht", sagte ich. "Aber ich glaube, das ist noch nicht alles. Wir gehen immer davon aus, dass Terroristen Sehenswürdigkeiten angreifen, weil sie sie hassen. Aber Terroristen hassen keine Sehenswürdigkeiten oder Brücken oder Flugzeuge. Die wollen bloß Chaos verbreiten und Leuten Angst machen. Terror erzeugen eben. Also haben sie sich natürlich die Bay Bridge ausgesucht, weil auf der Golden Gate die ganzen Kameras installiert sind und weil sie beim Fliegen die ganzen Metalldetektoren und Röntgengeräte eingeführt haben und so."
    Ich dachte noch eine Weile drüber nach und schaute dabei den Autos auf der Straße zu, den Leuten auf den Bürgersteigen, der ganzen Stadt um mich rum. "Terroristen hassen weder Flugzeuge noch Brücken. Sie lieben Terror." Das war jetzt so offensichtlich, dass ich nicht verstand, wieso ich da nicht schon früher drauf gekommen war. Schätze mal, ein paar Tage lang wie ein Terrorist behandelt zu werden hatte mein Denken entrümpelt.
    Die anderen beiden starrten mich an. "Hab ich Recht oder nicht? Der ganze Dreck, dieses Röntgen und die Identitätsprüfungen, das ist alles komplett sinnlos, oder?"
    Sie nickten zaghaft.
    "Schlimmer als sinnlos", fuhr ich mit überschlagender Stimme fort. "Weil es uns in den Knast gebracht hat und Darryl ..." Ich hatte nicht mehr an Darryl gedacht, seit wir hier saßen, und jetzt kams alles zu mir zurück: Mein Freund war fort, verschwunden. Ich brach ab und presste die Kiefer aufeinander.
    "Wir müssen es unseren Eltern erzählen", sagte Jolu.
    "Wir brauchen einen Anwalt", sagte Vanessa.
    Ich dachte daran, wie ich meine Geschichte erzählen würde. Daran, der Welt zu erzählen, was aus mir geworden war. An die Videos, die zweifellos auftauchen würden, auf denen ich weinte, nicht mehr war

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