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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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Gebirge führte, weit entfernt von jeder menschlichen Ansiedlung, das Tal der Mißgeburten ausgenommen. Dieses Tal lag im Westen, einige Kilometer hinter einem Berg. Dort lebte, wie Aussätzige von der Welt abgeschlossen, ein Volk erblicher Abnormitäten. Es gab einige solcher Ansiedlungen, die von Hospitalbrüdern der Heiligen Kirche betreut wurden, aber das Tal der Mißgeburten gehörte nicht zu ihnen. Dort hatten sich Mutanten, die dem Tod in den Fängen der Waldleute entkommen waren, vor Jahrhunderten zusammengetan. Ihre Reihen wurden immer wieder von kriechenden, entstellten Geschöpfen aufgefüllt, die Schutz vor der Welt suchten. Doch einige unter ihnen waren fruchtbar und mehrten sich. Häufig erbten dann die Kinder die Abnormitäten des elterlichen Erbgutes. Häufig wurden sie tot geboren oder starben, bevor sie erwachsen waren. Doch gelegentlich waren die abnormen Merkmale rezessiv, und der Vereinigung von Monstren entsprang ein offenbar gesundes Kind. Manchmal jedoch waren die äußerlich gesunden Sprößlinge dem schädlichen Einfluß irgendeines Gebrechens an Gemüt oder Geist ausgesetzt, der ihnen allem Anschein nach das Wesentliche der Menschlichkeit raubte, ihnen aber menschliche Gestalt beließ. Selbst innerhalb der Kirche hatten es einige gewagt, für die Ansicht einzutreten, daß solche Geschöpfe von der Empfängnis an wahrhaft der imago Dei beraubt seien, daß ihre Seelen nichts als tierische Seelen seien, daß sie nach den Naturgesetzen und unter Straffreiheit als Tiere und nicht als Menschen getötet werden dürften und daß Gott die Menschheit mit Vertierung heimgesucht habe, als Strafe für die Sünden, die fast zur Vernichtung aller Menschen geführt hätten. Ein paar Theologen, deren Glauben an die Hölle sie nie im Stich gelassen hatte, wollten ihrem Gott die Zuflucht zu jeglicher Art zeitlicher Strafe absprechen; wenn aber Menschen es auf sich nahmen, zu entscheiden, daß irgendein Geschöpf, vom Weibe geboren, dem göttlichen Ebenbild nicht entspräche, so hieße das, sich Vorrechte des Himmels anzumaßen. Selbst der Schwachsinnige, der über weniger Vernunft als Hund, Schwein oder Ziege verfügt, muß, wenn vom Weibe geboren, als unsterbliche Seele angesehen werden, donnerte das Magisterium und donnerte es wieder und wieder. Nachdem mehrere solcher Erklärungen mit der Absicht, Kindstötungen einzuschränken, von New Rome abgegeben waren, fing man an, die unseligen Mißgeburten »Neffen des Papstes« oder die »Papstkinder« zu nennen.
    »Möge alles, was durch menschliche Eltern lebendig geboren wird, am Leben gelassen werden«, hatte der letzte Leo gelehrt, »in Übereinstimmung mit sowohl den Naturgesetzen als auch dem göttlichen Gebot der Liebe; möge es als Kind begrüßt und aufgezogen werden, wie immer es auch gestaltet oder geartet sei. Denn auch ohne die Hilfe göttlicher Offenbarung ist der natürlichen Vernunft die Tatsache begreiflich, daß unter den natürlichen Rechten des Menschen das des elterlichen Beistandes als Bemühen um ein Weiterbestehen allen anderen Rechten voransteht und weder durch die Gesellschaft noch durch den Staat durch Gesetz geändert werden darf, Fürsten in dem Fall ausgenommen, daß sie Macht genug besitzen, diesem Recht Geltung zu verschaffen. Selbst die Tiere dieser Welt verhalten sich nicht anders.«
     
     
    Der Räuber, von dem Bruder Francis angesprochen wurde, gehörte dem Anschein nach nicht zu den Mißgestalteten; doch daß er aus dem Tal der Mißgestalteten kam wurde deutlich, als zwei verhüllte Gestalten hinter einem Gestrüpp am Abhang, der den Weg überragte, hervorkamen. Aus ihrem Hinterhalt schrien sie höhnisch auf den Mönch herab und zielten mit gespanntem Bogen auf ihn. Aus solcher Entfernung war sich Francis seines ersten Eindrucks nicht ganz sicher, ob eine Hand den Bogen mit sechs Fingern oder einem zweiten Daumen umklammert hielt. Aber überhaupt kein Zweifel war darüber möglich, daß eine der verhüllten Gestalten ein Gewand mit zwei Kapuzen trug. Er konnte jedoch weder Gesichter erkennen, noch konnte er ausmachen, ob die zweite Kapuze einen zweiten Kopf enthielt oder nicht.
    Der Räuber selbst stand geradeaus vor ihm auf dem Pfad. Er war nicht groß, aber massig wie ein Stier, hatte einen glänzenden Kugelkopf und Kinnbacken wie aus Granit gemeißelt. Er stand mit weit gespreizten Beinen auf dem Pfad, die mächtigen Arme vor der Brust gekreuzt, und schaute der sich nähernden kleinen Gestalt entgegen, die rittlings auf

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