Lobgesang auf Leibowitz
Stamm gegen Stamm zu hetzen. Wir wissen natürlich nicht alle Einzelheiten, aber das Ziel ist eine Nomadenlegion unter einem Marionettenhäuptling, bewaffnet, von Texarkana, Hannegan treu ergeben und bereit, das Land nach Westen, die Berge im Sturm zu erobern. Sollte das geschehen, so würden die ersten Brecher über diese Gegend hier hinwegspülen.«
»Aber warum? Gewiß hält Hannegan die Barbaren nicht für verläßliche Truppen oder gar für fähig, ein Reich zu behaupten, wenn sie einmal aufgehört haben werden, es zu verstümmeln.«
»Nein, Herr. Aber die Nomadenstämme werden gespalten, Denver zerschmettert sein. Dann kann Hannegan die Scherben aufsammeln.«
»Was will er mit ihnen anfangen? Sie würden kein sehr wohlhabendes Reich abgeben.«
»Nein, aber ein an allen Seiten sicheres. Er würde dann besser in der Lage sein, nach Norden oder Osten vorzustoßen. Bevor es dazu kommt, könnten selbstverständlich Pläne zunichte werden. Aber ob sie nun zunichte werden oder nicht, diese Gegend wird wohl in der Gefahr schweben, in nicht allzu ferner Zukunft besetzt zu werden. Während der nächsten Monate sollten Schritte zur Sicherung der Abtei unternommen werden. Ich habe Anweisung, mit Euch die Frage zu besprechen, wie die Memorabilien unversehrt gehalten werden könnten.«
Dom Paulo spürte, wie die Finsternis anfing, sich aufzutürmen. Nach zwölf Jahrhunderten war der Welt ein klein wenig Hoffnung erweckt worden – und dann kam ein ungebildeter Fürst und ritt sie rücksichtslos mit seiner Barbarenhorde nieder.
Seine Faust schlug auf den Pultdeckel nieder. »Wir haben sie tausend Jahre lang von unsern Mauern ferngehalten«, knurrte er, »und wir werden sie ein weiteres Jahrtausend fernhalten. Diese Abtei ist während der Wanderung der Bayringleute dreimal belagert worden und dann noch einmal während des Schismas der Vissarionisten. Wir haben sie so eine recht schöne Zeit lang bewahrt.«
»Aber da ist unserer Tage ein neues Risiko hinzugekommen, Herr.«
»Und das wäre?«
»Reichlicher Vorrat an Schießpulver und Kanonenkugeln.«
Das Fest Maria Himmelfahrt war gekommen und vorübergegangen, und noch immer hatte man nichts von der Gruppe aus Texarkana gehört. Die Priester der Abtei begannen besondere Votivmessen für Pilger und Reisende abzuhalten. Dom Paulo hatte gar aufgehört, ein leichtes Frühstück einzunehmen, und man flüsterte, er tue Buße dafür, daß er den Gelehrten überhaupt eingeladen hatte angesichts der gegenwärtigen Gefährlichkeit der Ebene.
Die Wachttürme waren ständig besetzt. Der Abt selbst kletterte von Zeit zu Zeit auf die Mauer, um gen Osten zu spähen.
Am Tag des heiligen Bernhard, kurz vor der Vesper, berichtete ein Novize, er habe eine schwache und ferne Staubfahne gesehen, aber keiner sonst hatte sie ausmachen können, da die Dunkelheit hereingebrochen war. Bald waren Komplet und Salve Regina gesungen, aber am Tor war immer noch niemand erschienen.
»Das könnte ihr vorausgesandter Kundschafter gewesen sein«, meinte Prior Gault.
»Es könnte eine Einbildung von Bruder Wächter gewesen sein«, entgegnete Dom Paulo.
»Aber wenn sie ihr Lager eben etwa fünfzehn Kilometer die Straße hinunter aufgeschlagen haben…«
»Wir würden ihr Feuer vom Turm aus sehen. Die Nacht ist klar.«
»Herr, trotzdem könnten wir, wenn der Mond aufgegangen ist, einen Reiter…«
»O nein! Die beste Gelegenheit, aus Versehen erschossen zu werden! Wenn sie es wirklich sind, dann haben die die ganze Reise hindurch ihre Finger an den Abzügen behalten, besonders nachts. Ich kann bis zur Dämmerung warten.«
Es war spät am nächsten Morgen, als die erwartete Gruppe von Reitern von Osten her sichtbar wurde. Von der Mauerkrone aus blickte Dom Paulo blinzelnd und zwinkernd über das heiße und ausgetrocknete Gelände hin, versuchte er, seine kurzsichtigen Augen Fernes erkennen zu lassen. Unter den Hufen der Pferde trieb Staub nach Norden.
Die Gruppe hatte angehalten, um sich zu beraten. »Mir scheint, ich sehe zwanzig oder dreißig von ihnen«, klagte der Abt und rieb sich verdrossen die Augen. »Sind es wirklich so viele?«
»Ja, ungefähr.«
»Wie können wir sie jemals alle bewirten?«
»Ich glaube nicht, daß wir die in den Wolfsfellen bewirten werden, Herr«, sagte der jüngere Priester steif.
»Wolfs felle!«
»Nomaden, Herr!«
»Alles auf die Mauern! Schließt die Tore! Den Schutzschild herunter! Brecht…«
»Wartet, nicht alle von ihnen sind Nomaden,
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