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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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hasserfüllte Blick einer hinterbliebenen Mutter, der sich in sie hineinbrannte, sie beschuldigte, ihr tiefere Schnitte zufügte, als jedes Spähermesser es vermocht hätte.
    Petronus
    Petronus ging in dem kleinen Zimmer auf und ab und lauschte dem Stimmengemurmel gleich hinter der Eichentür, die ihn von der Ratskanzlei trennte.
    In ein paar Minuten würde man ihn auffordern, durch diese Tür zu gehen und sich Esarov auf der Bank des Anwalts anzuschließen, um die Anklage zu hören. Im Grunde war es eine einfache und kurze Angelegenheit. Aber dennoch lastete sie schwer auf ihm.
    Nach dem Verhör war der Hausarrest um einiges erträglicher geworden. Erlunds eigene Köche hatten seine Mahlzeiten zubereitet, Petronus hatte Zugang zu Vögeln und Büchern erhalten und außerdem mehr als genug Zeit mit seinem Anwalt verbringen können, dem ehemaligen Anführer der Revolution, Esarov dem Demokraten. Die letzten Tage waren eine endlose Flut aus Fragen gewesen, während sie sich auf den heutigen Tag vorbereitet hatten und auf das, was danach kommen würde. Esarov hatte eine ausgeklügelte Strategie ausgearbeitet, und Petronus wusste sie nicht nur zu würdigen, er hatte auch selbst einiges dazu beitragen können.

    Er hatte sich neben seiner Meisterschaft im Gesetz der Androfranziner und der Staatskunst der Benannten Lande im Laufe seiner Jahre im Orden ein ansehnliches Wissen über das Gesetz der Bundschaft angeeignet. Und Esarovs klare Konzentration und sein scharfer Verstand, wenn es um rechtliches Taktieren ging, würden – zusammen mit der Bühnenerfahrung des Mannes – gute Dienste leisten.
    Heute würde es nicht lange dauern, rief er sich in Erinnerung. Was darauf folgte, würde einiges an Zeit beanspruchen, aber die Szenarien, die sie anhand von Esarovs Bücherstapeln durchgespielt hatten, stimmten Petronus zuversichtlich.
    Dennoch ging er ruhelos auf und ab.
    Er hörte, wie die Geräusche hinter der Tür lauter wurden. Das bedeutete, dass Erlund und sein Rat der Statthalter den Raum betreten hatten. Als Nächstes würde die kleine Glocke in der Ecke des Raumes läuten, und die schweigenden Wächter, die an jeder Seite des Eingangs saßen, würden sich erheben und ihn hineingeleiten.
    Du wolltest eine Abrechnung, alter Mann. Es lief zwar nicht so ab, wie er es sich vorgestellt hatte, aber Petronus war davon überzeugt, dass es der richtige Weg war. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu dem kurzen Treffen mit Charles auf dem Marktplatz zurück. Und nachts träumte er von einer Bibliothek, die sich tief unter der Erde erstreckte, versteckt in einem vergessenen Winkel der Alten Welt. Wenn diese Abrechnung einen so großen Teil des Lichts zurückbringen konnte, spielten die Folgen, die sich für ihn daraus ergaben, keine Rolle. Und obwohl er starkes Vertrauen in das hatte, was nun kommen würde, wusste er von ihm, dass es ein gefährlicher Fluss war, den er queren wollte. Ein einziger Fehltritt, und er würde einfach fortgerissen werden.
    Die Glocke erklang, und die Wachen erhoben sich. Als sie die Tür öffneten und eintraten, folgte ihnen Petronus.
    Der Ratssaal war groß und rund, mit aufwendig geschnitztem
Holz vertäfelt, von dem sich goldene Beschläge und Verzierungen abhoben. Die hohe Kuppeldecke war mit Motiven aus der frühen Geschichte bemalt, mit Szenen von der Zusammenkunft der Ersten Siedler und der Unterzeichnung jenes Dokuments, das der noch jungen Gemeinschaft der Stadtstaaten zu ihrer bedeutsamen Stellung in den Benannten Landen verhelfen sollte.
    Die neun Statthalter saßen auf einem Podest, auf dem Stühle und Tische in Hufeisenform aufgestellt waren, und davon abgesetzt, in der Mitte des offenen Endes der U-Form, stand das Podium des Aufsehers mit einem abgenutzten Stuhl und einer Bank darauf. Erlund schaute Petronus an, und ihre Blicke trafen sich.
    Das Desinteresse, das Petronus dort sah, sprach Bände, aber er war nicht überrascht. Er weiß, was als Nächstes kommt.
    Der Aufseher trug seine violette Klägerrobe, und zu seiner Rechten saß der Ankläger, den er erwählt hatte – Ignatio –, der auf gleiche Weise gekleidet war. Die Statthalter hinter ihnen trugen schwarze Roben, die sich nicht sehr vom Talar eines Androfranziners unterschieden. Als Petronus ihre Gesichter musterte, fiel es ihm nicht schwer, die vier auszumachen, die von Esarovs demokratischen Stadtstaaten gewählt worden waren. Ihr Blick war nicht so leer und stoisch wie der der anderen. Ihre Gesichter ließen Zielsetzung und

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