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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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Petronus’ Blick jedoch auf das Gesicht von Erlunds Geheimdienstleiter und Ankläger fiel, bemerkte er dort etwas, das er nicht erwartet hatte. Es blitzte nur kurz auf und war nur für Petronus bestimmt, daran hegte er keinen Zweifel:
    In dem Augenblick, in dem Petronus an der Bank vorbeiging, entbot Ignatio ihm ein dünnes und heimliches Lächeln.
    Und über diesem Lächeln tanzten Selbstgefälligkeit und Zufriedenheit in den Augen des Mannes.
    Es war der zufriedene Blick eines Jägers, der eine ausgelöste Falle öffnete. Der selbstgefällige Blick eines Fischers, der ein übervolles Netz einholte.
    Petronus erschauerte und zwang sich weiterzugehen, aber bis spät in die Nacht verfolgten ihn dieses Lächeln und dieser Blick, die versprachen, dass bald etwas kommen würde, das er nicht einschätzen konnte.

Kapitel 20
    Vlad Li Tam
    Vlad Li Tam hing schlaff auf der Folterbank und starrte auf die leeren Tische hinab. Die Tage und Nächte verschwammen inzwischen vor seinen Augen, und immer öfter stellte er fest, dass seine Wahrnehmung von großen Flecken aus leerem Weiß bestimmt wurde.
    Aber für den Augenblick waren sie mit seinen Kindern und Enkelkindern und Urenkeln fertig. Irgendwann hatten sie die letzten Leichen fortgeschleppt, und von diesem Augenblick an war Ria einfach ohne sie mit ihrem Werk fortgefahren. Selbst jetzt, während er dort hing, strich ihre Hand liebevoll über sein nacktes Fleisch, ihre Finger zeichneten Botschaften auf seinen Rücken, die er nicht entziffern konnte, während ihre andere Hand mit dem gesalzenen Messer arbeitete.
    Anfangs hatte er geschrien, bis er heiser war, aber inzwischen atmete er einfach und lag still, während er die Pfütze aus Geifer auf dem Boden vor sich betrachtete. Er spürte, wie der heiße Biss der Klinge über seine linke Hinterbacke fuhr, langsam und in einer immer größer werdenden Spirale, die nach oben auf seinen Rücken auslief. Indem er langsam ausatmete, drängte Vlad den Schmerz in die Grube, die er tief in sich dafür ausgehoben hatte. Er drängte ihn hinein und wachte dann über ihn.
    Ich werde meinen Schmerz zu einer Armee heranzüchten. Er würde
ihn füttern; er würde ihn gießen; er würde ihn an den dunklen und geheimen Orten pflegen, an denen der Schmerz am schnellsten und stärksten wuchs. Er würde …
    Ein Glockenspiel erklang – es war lauter als das, das ihn aus seinem trügerischen Nest aus Decken in der Ecke seiner Gemächer hervorrief. Er spürte, wie die Klinge gehoben wurde, und konzentrierte sich auf das warme Blut, das seine Flanken hinablief, um in der Rinne aufgefangen und irgendeinem Behältnis zugeführt zu werden, das den finsteren Zwecken seiner Peiniger diente.
    In seinen klareren Momenten dachte er über die Verwendung des Blutes nach. Er hatte die früheren Y’Ziritischen Bewegungen zwar nicht studiert, aber eine Tatsache war ihm vollkommen klar – dass keine davon die Alten Wege je mit solch ausgeklügelter Sorgfalt und Detailversessenheit beschritten hatte. Dies waren keine Männer und Frauen, die versteckt im Wald lebten und den toten Hexenkönigen ihre Zungenrede darboten und sich selbst Schnitte zufügten, um über einem Lagerfeuer Blut zu mischen.
    Diese Y’Ziriten waren anders. Dunkler, unheimlicher, zwingender als alle Resurgenten, von denen er je gehört hatte. Von ihren aufwendigen Ritualen bis hin zu der aufrichtigen Liebe und Wertschätzung, die in Rias Stimme lag, wenn sie zärtlich zu ihm über die Bundheilung sprach, die sie gerade durchführte.
    »Wir erlösen euch durch die Pein«, hatte sie einmal gesagt, »und im Gegenzug wird eure Pein uns alle erlösen.«
    Als hätte er ihn durch seinen Gedanken heraufbeschworen, spürte er Rias Atem dicht an seinem Ohr und roch den kühlen Apfelduft aus ihrem Mund. »Sie sind da, Vlad«, sagte sie. Ihre Stimme klang, als wäre sie der Ekstase nahe. »Dein Enkel hat sie zu dir nach Hause gebracht.«
    Er konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken; es schüttelte ihn, und auf seinem Rücken breitete sich eine Feuersbrunst aus, als der Schmerz entlang des feinen Netzwerks aus sorgfältig eingeritzten
Worten und Zeichen raste, die sie mit ihren Messern auf ihn geschrieben hatte.
    Ich werde meinen Schmerz zu einer Armee heranzüchten.
    Aber ein Teil von ihm wusste, dass das nicht stimmte. Es würde keine Armee geben. Er würde seine gesamte Familie, einen nach dem anderen, unter diesen grausamen Klingen sterben sehen, und dann, wenn alle fort waren und die Jüngsten ihre

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