Lobgesang
sie ihre Feinde sehen können«, fügte Rafe hinzu.
Rudolfo nickte und blickte zu Charles. »Könnt Ihr sie steuern? Könnt Ihr es anderen beibringen?«
Charles nickte. »Das kann ich. Aber es dauert.«
Er wandte sich wieder an Rafe Merrique. »Und könnt Ihr Männer an Bord schmuggeln?«
Die Stimme des Ersten Maats ertönte: »Sie sind nicht stark bemannt. Sie mögen bewacht sein, aber nicht besonders gut.«
Rafe runzelte die Stirn, während er nachdachte. »Wir könnten die Hälfte der Schiffe übernehmen – mehr wäre unrealistisch. Aber sobald die Dampfkessel angeschürt werden, ist das Überraschungsmoment dahin.«
»Dann warten wir bis zur letzten Minute, um sie anzuschüren. Aber wenn wir damit angefangen haben, könnt Ihr die Schiffe auch halten?«
Rafe überlegte einen Augenblick lang. »Das ist zu schaffen, aber nicht einfach. Sie haben die Schoner und die Blutmagie, gegen die wir uns behaupten müssen.«
Charles räusperte sich, und alle Blicke richteten sich auf ihn. »Habt Ihr Kanonenpulver?«
Rafe zuckte die Achseln. »Ein wenig.«
»Und auf den Eisenschiffen ist noch mehr davon?«, fragte der Erzmaschinist weiter.
Rudolfo nickte. »Ja, wenn sie es nicht ausgeladen und eingelagert haben.«
Inzwischen ließ die Wirkung der Pulver langsam nach, und der Zigeunerspäher am Tisch war undeutlich zu sehen. Er beugte sich vor, während er sprach. »Sie haben vorhin Vorräte aufgestockt, aber nichts ausgeladen.«
Charles lächelte, und in der schlecht beleuchteten Kombüse sah sein Gesicht dabei grimmig aus. »Dann kann ich Euch dabei helfen, die Schoner und alle Tam-Schiffe im Hafen auszuschalten. Ich werde ein bisschen Zeit und ein paar andere Dinge brauchen.«
»Ich denke, wir haben unseren Plan«, sagte Rudolfo mit leiser Stimme. Es klang düsterer, als er beabsichtigt hatte. »Rafe, Ihr werdet Euch um die Schiffe kümmern. Setzt alle gegnerischen Kräfte an der Küste außer Gefecht, sorgt dafür, dass ihre Schiffe uns nicht verfolgen können.«
»Das«, sagte Merrique, »ist nur ein halber Plan, Rudolfo.«
Rudolfo seufzte. Wenn Gregoric noch am Leben gewesen wäre, hätte der Erste Hauptmann nun finster dreingeblickt und versucht, Rudolfo von dem Kurs abzubringen, der sich so klar in seinem Verstand abzeichnete. Vielleicht lag es an seinen Wurzeln als junger, verwaister König, der schon so früh mit einem Volksaufstand konfrontiert gewesen war, oder vielleicht auch an der starken Führung seines Vaters, der stets darauf bestanden hatte, das Richtige zu tun. Er wusste es nicht sicher, aber das Endergebnis war dasselbe: Rudolfo zweifelte selten daran, welcher Weg in jeder nur vorstellbaren Lage der richtige war, und diesmal war es nicht anders. Er verabscheute Vlad Li Tam, hatte geschworen, ihn zu töten, aber er brachte es nicht über sich, die Familie dieses Mannes den Händen dieser bluttollen Kultisten zu überlassen.
Sein Blick wanderte zu Charles und Rafe. Auch die Seemänner waren nun immer deutlicher zu erkennen, während die Pulver langsam nachließen. »Ich werde meine Zigeunerspäher nehmen, und wir werden alle befreien, die wir befreien können.«
Rafe verschluckte sich an seinem Bier. »Drei Männer gegen hundert? Seid Ihr wahnsinnig, Rudolfo? Haben der Kummer und die Verzweiflung wegen Eures Sohnes Euer Urteilsvermögen getrübt? «
Nein, ihn nicht , hatte der Attentäter damals in der Großen Halle gesagt, in jener Nacht, in der alles begonnen hatte. Und die Neun Häuser der Neun Wälder hatten Windwirs Fall nicht nur überlebt, sondern davon profitiert. Es musste eine Verbindung zwischen diesen Resurgenten und dem düsteren Erbe seiner Familie geben – aber welche?
»Vielleicht«, sagte Rudolfo, »bin ich wahnsinnig.« Als er aufblickte und Rafe in die Augen sah, bemerkte er, wie der Mann sich blinzelnd abwandte, angesichts der Wildheit, die ihm entgegenschlug. »Dennoch werde ich tun, was ich kann.«
Und hoffen , dachte er, dass es ausreicht, um meinen Sohn zu retten.
Während ihre Stimmen sich zu dem Tonfall senkten, der sorgfältiger Planung und gut abgestimmten Manövern vorbehalten war, stählte sich Rudolfo für die Aufgabe, die vor ihm lag, und beschwor abermals das graue Gesicht seines kränkelnden Sohnes herauf, um sich ganz sicher zu sein, dass der Weg vor ihm auch der richtige war.
Kapitel 21
Jin Li Tam
Jin Li Tam verbrachte den Vormittag an der Front, die sie mit ihren engsten Anführern abritt, um die behelfsmäßige Grenze zu besichtigen, die sie
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