Lockend klingt das Lied der Wueste
nicht von Erinnerung zu zehren wie er. Aber was ging ihn das an?
Mit nachdenklich gefurchter Stirn nahm er zwei zusammengefaltete Handtücher von einem der Liegestühle und reichte Lisa eins davon. Dankend nahm sie es entgegen. Sie wand ihr Haar gründlich aus, bevor sie es trocken rieb.
Nura hätte ihr Haar niemals so behandelt, ging es Karim durch den Sinn. Doch Lisas Haar ließ sich auch nicht vergleichen mit Nuras blauschwarzer Pracht, auch wenn es mit den goldenen Strähnen, die das Sonnenlicht hineinzauberte, sehr hübsch aussah.
4. KAPITEL
Lisa blickte auf die Landschaft unter sich. Zu Anfang waren sie ziemlich hoch geflogen, doch jetzt ging der Helikopter tiefer, und sie konnte das glitzernde Band des Flusses sehen, dessen Ufer von Bäumen und üppigem grünen Buschwerk gesäumt waren. Dahinter wurde die Vegetation zu beiden Seiten immer karger. Es würde sicher nicht schwer sein, eine Staumauer in der Schlucht zu bauen, und der oberhalb gelegene Talkessel war breit genug, um dort einen Stausee anzulegen.
In einiger Entfernung waren die staubigen Zelte ihres Camps zu erkennen. Lisa lächelte traurig. Nur noch wenige Minuten, dann würde sie wieder bei ihrem Team sein, und die Zeit mit dem exotischen Scheich war vorbei. Sie verspürte ein schmerzliches Bedauern. Es waren zwei wundervolle Tage gewesen. Aber sie tat gut daran, wieder in ihre eigene Welt zurückzukehren, bevor sie sich in Träumen verlor, die niemals wahr werden würden, und sich in einen Mann verliebte, dessen Herz immer noch seiner toten Frau gehörte.
Insgeheim hatte sie ihr ganzes Leben lang gehofft, eines Tages dem Mann zu begegnen, der für sie bestimmt war. Diesem einen besonderen Mann, der die gleichen Sehnsüchte und Wünsche hatte wie sie – nach einem harmonischen Familienleben, einem Zuhause. Bisher war sie Männern gegenüber, die behaupteten, ähnlich zu denken, stets misstrauisch gewesen. Keiner von ihnen schien ihr wirklich geben zu wollen, wonach sie sich sehnte. Deshalb war sie lieber allein geblieben, als enttäuscht zu werden.
Sie nahm ihre Kamera hoch und begann Luftaufnahmen von der Ausgrabungsstätte zu machen. Plötzlich entdeckte sie etwas, das sie ganz atemlos machte. Die Spuren der alten Karawanenstraße waren im Wüstensand zu erkennen!
„Karim, sehen Sie das?“, rief sie aufgeregt.
„Was?“ Er hatte ihr den Co-Pilotensitz überlassen und ihr Kopfhörer gegeben, damit sie sich trotz des Dröhnens der Rotoren unterhalten konnten. Bisher hatten sie die meiste Zeit geschwiegen, doch jetzt sprudelten die Worte nur so aus Lisa heraus.
„Diese Spur dort unten im Sand! Das muss die Straße sein, auf der die Karawanen damals durch die Wüste gezogen sind. Sie sieht aus wie die Trails, auf denen die Planwagen in der Pionierzeit der Vereinigten Staaten bis Oregon und Kalifornien gezogen sind. Die Erde auf diesen Wegen ist so festgefahren, dass nichts mehr auf ihr wächst.“ Lisa wurde immer aufgeregter. Ob Professor Sanders davon wusste?
Karim änderte die Richtung und flog der Karawanenstraße nach. Aus der Luft war ihr Verlauf deutlich zu erkennen. Keinerlei Vegetation wuchs auf der Route selber, doch zu beiden Seiten standen büschelweise Wüstenpflanzen.
Lisa knipste ein Bild nach dem anderen. „Vielleicht könnte man der Karawanenstraße mit einem Jeep folgen und herausfinden, ob es Überreste der alten Karawansereien gibt. Vielleicht existiert sogar eine Karte!“
„Keine Ahnung“, erwiderte Karim. „Haben Sie genug gesehen?“
Mit einem entsagungsvollen Seufzer blickte Lisa der Spur nach, die sich am Horizont verlor. „Ja, danke. Das war fantastisch!“
Karim drehte in Richtung der Ausgrabungsstätte ab. „Sie haben eine merkwürdige Vorstellung davon, was fantastisch ist“, bemerkte er nachdenklich. Jede andere Frau, die er kannte, hätte versucht, den Aufenthalt in seiner Luxusvilla so lange wie möglich auszudehnen, und zweifellos auch die Einladung seiner Mutter zu Jeppas Geburtstagsparty angenommen. Lisa dagegen zog es vor, ihren Pflichten nachzugehen, und kehrte lieber in das staubige Camp zurück.
Nachdem sie gelandet waren, kamen mehrere Teammitglieder auf den Helikopter zu.
„Professor Sanders ist auch dabei.“ Lisa kämpfte mit dem Verschluss ihres Sitzgurtes. „Hoffentlich ist er mir nicht böse, dass ich ihn von seiner Arbeit weggeholt habe.“
Karim beugte sich zu ihr und öffnete mit geschicktem Griff die Schließe. Lisa stockte der Atem, als er mit dem Handrücken ihre
Weitere Kostenlose Bücher