Lockend klingt das Lied der Wueste
bringen. Diesen Brauch der Engländer schätze ich sehr. Wie geht es Ihrem Fuß?“
„Sehr viel besser.“ Lisa zeigte auf ihren dunkelblauen Stützschuh. „Damit kann ich ganz gut herumlaufen.“ Das Dienstmädchen kam mit einem Tablett herein, auf dem sich eine silberne Teekanne und Gedecke aus feinstem chinesischen Porzellan befanden, ebenso ein Sortiment von köstlich aussehenden Appetithäppchen und süßem Gebäck.
„Erzählen Sie mir, wie Sie mit Ihrem verletzten Fuß zurechtgekommen sind“, bat Yasmin, nachdem sie Lisa zum Zugreifen aufgefordert hatte.
Bevor Lisa zu berichten begann, holte sie noch ihre Kameratasche. Sie erzählte Yasmin von den Erfolgen der Archäologen an der Ausgrabungsstätte und zeigte ihr die Fotos, die sie mitgebracht hatte. Dabei ließen sie sich den Nachmittagstee schmecken, als wären sie mitten in London.
Bis zum nächsten Abend hatte Lisa sich so nett mit Yasmin angefreundet, dass sie keine Fremde mehr für sie war. Sie fand Karims Mutter, die alles tat, damit Lisa sich wohlfühlte, einfach reizend. Das Essen war hervorragend, und sie hatten sich angeregt über viele Themen unterhalten. Auch Yasmin war oft und gern in Europa, doch zum Shopping pflegte sie nach New York zu fliegen.
Natürlich hatte sie Lisa überredet, zur Geburtstagsparty ihrer Nichte zu kommen. Als ihr Gast den Einwand erhob, dass sie keine passende Garderobe dabeihatte, war Yasmin kurzerhand mit ihr zum Einkaufen gefahren. Lisa hatte allerdings darauf bestanden, ihre Sachen selbst zu bezahlen, worüber Yasmin nicht sehr glücklich war.
Lisa fand, dass das weinrote lange Kleid, das sie erstanden hatte, hervorragend zu ihrem Typ passte. Der Schnitt war schlicht und elegant und betonte ihre Figur. Leider hatte das Kleid auch einiges mehr gekostet, als sie zu Hause ausgegeben hätte. Dazu trug sie passende Schuhe, die nur einen kleinen Absatz hatten und sehr bequem waren.
Lisa hatte sich erboten, Fotos vom Geburtstagskind und den Partygästen zu machen und die Aufnahmen in einem kleinen Album als Geschenk zusammenzustellen. Yasmin gefiel der Vorschlag außerordentlich gut. Anschließend waren sie übereingekommen, dass Karim sie zur Party fahren würde. Beide warteten gespannt auf Karims Eintreffen.
Je näher der Zeitpunkt rückte, zu dem Karim sie abholen sollte, umso aufgeregter wurde Lisa. Sogar Yasmin machte plötzlich einen nervösen Eindruck. „Hoffentlich kommt er auch“, seufzte sie.
„Wen meinen Sie?“
„Karim. Seit Nuras Tod hat er an keinen Familienfeierlichkeiten mehr teilgenommen. Er versicherte mir zwar, dass er uns zu der Geburtstagsparty begleiten wird, aber ich fürchte, dass er im letzten Moment noch absagt.“
„Ist seine Frau erst vor Kurzem gestorben?“, erkundigte sich Lisa. Sie wusste so wenig über Karim und sein Leben.
„Vor drei Jahren. Es war eine große Tragödie. Die beiden waren wie geschaffen füreinander.“
„Woran ist sie gestorben?“
„Es war ein Aneurysma. Plötzlich schrie sie vor Schmerz auf, fasste sich an den Kopf und fiel um. Ein paar Augenblicke später war sie tot. Wir standen alle unter Schock. Sie war erst dreißig.“
Nur ein Jahr älter als ich, dachte Lisa bei sich. „Das ist wirklich tragisch“, sagte sie leise. „Sie hatten keine Kinder?“
„Nein, noch nicht. Nura wollte das Leben genießen und reisen, bevor sie Mutter wurde. Nun werde ich niemals ein Enkelkind von Karim bekommen. Auf dem Tisch dort steht ein Foto von Nura. Bestimmt hätten die beiden wunderhübsche Kinder gehabt.“
Lisa stand auf und ging zu dem kleinen Tisch in der Ecke. Die Fotografie, auf die Yasmin gewiesen hatte, zeigte eine attraktive junge Frau mit dunklem Teint, die strahlend in die Kamera lächelte. Neben ihr war Karim zu sehen.
„Vielleicht heiratet er wieder“, meinte Lisa und nahm das Foto in dem goldenen Rahmen in die Hand, doch Yasmin schüttelte traurig den Kopf.
„Es wird keine Frau mehr geben, die sein Herz so für sich gewinnen kann wie Nura. Ich habe noch andere Kinder und hoffe, dass sie mir eines Tages Enkel schenken werden. Aber nicht Karim.“
Lisa fand Yasmins Bemerkung ein wenig melodramatisch. Wie sie Karim einschätzte, würde er sicher nicht den Rest seines Lebens als trauernder Witwer verbringen. Sie war sicher, dass er eines Tages einer Frau begegnete, die so attraktiv und lebenslustig war wie Nura, und mit ihr ein neues Glück fand.
Lisa stellte das Foto zurück, als Karim den Salon betrat. Seine Augen verengten sich kurz,
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