Lockend klingt das Lied der Wueste
Verwunderung fest, dass der altvertraute Schmerz diesmal ausblieb. Lediglich die warme Erinnerung an die Frau, die er einst geliebt hatte, erfüllte ihn. War sein trauerndes Herz dabei, zu heilen?
Er dachte wieder an Lisa. Er bewunderte sie, wie sie in ihrer Freizeit ganz allein auf Erkundungstouren durch die Wüste fuhr. Als sie gestern in dem Beduinendorf gewesen waren, hatte sie sichtlich Freude daran gehabt, die Kinder zu fotografieren. Auch zahlreiche Landschaftsaufnahmen hatte sie gemacht. So weit das Auge sehen konnte, gab es außer den Bäumen am Fluss und ein paar kargen Grasbüscheln keinerlei Vegetation. Trotzdem schien sie diese Landschaft für wert zu befinden, sie auf Film zu bannen.
Lisa war so ganz anders als alle Frauen, die er kannte. Mit ihrer Offenheit und ihrem freundlichen Wesen hatte sie von Anfang an sein Interesse geweckt. Lange war sein Leben freudlos gewesen, doch Lisa hatte es geschafft, ihn mit ihrem fröhlichen Lachen zu verzaubern.
Aber war das Grund genug, um eine Frau zu begehren? Oder steckte mehr hinter seinem Verlangen nach ihr? Am liebsten wäre er für ein paar Tage mit ihr irgendwo hingefahren, um sie näher kennenzulernen und sie nach ihrem Leben und ihren Träumen zu fragen. Er stellte es sich wundervoll vor, ihr Lachen durch die Nacht klingen zu hören und am Morgen beim Aufwachen in ihre graublauen Augen zu blicken.
Energisch schob er solche Gedanken beiseite. Es war völlig unmöglich. Trotzdem blieb seine Sehnsucht nach ihr bestehen. Vielleicht würde er niemals eine andere Frau lieben können, doch er musste zugeben, dass er Lisa begehrte.
Zum ersten Mal verspürte er keine Schuldgefühle dabei. Er war ein Mann aus Fleisch und Blut. Nura hatte das Leben geliebt. Niemals würde sie von ihm verlangen, dass er allen Freuden des Lebens entsagte. Sie selbst hatte jeden Augenblick ausgekostet. Warum sollte er es nicht ebenso tun?
Karim gab seinem Pferd die Sporen. Schnell wie der Wind galoppierten sie dahin, doch seine Gedanken holten ihn immer wieder ein. Er hoffte, dass er in seinem Wüstenzelt wieder zur Ruhe kommen würde. Ein Tag blieb ihm noch in seiner geliebten Einsamkeit, dann musste er wieder in die Stadt zurückkehren und sich in die Arbeit stürzen. Das würde ihn wenigstens ablenken.
Obwohl Lisa am nächsten Morgen zeitig auf den Beinen war, wurde im neuen Ausgrabungsareal bereits fleißig gearbeitet.
„Professor Sanders möchte, dass wir am Morgen früher anfangen“, erklärte einer der Studenten, als sie zum Frühstück erschien. „Er will so viel Zeit wie möglich gewinnen.“
„Wann kommen die Transporter?“, fragte eine Studentin.
„Um zehn Uhr“, antwortete jemand.
„Gut, dann kann der Professor noch ein paar Stunden arbeiten, bevor er nach Soluddai fahren muss.“
Lisa nahm sich Kaffee, etwas Käse und Obst und setzte sich mit ihrem Tablett an einen der Tische. Im Moment war für sie nicht viel zu tun, da es keine neuen Funde gegeben hatte. Stattdessen half sie seit gestern Nachmittag beim Verpacken der bisherigen Objekte. Alles, was bisher ausgegraben worden war, musste an das Nationalmuseum in Soluddai geschickt werden. Lisa hatte außerdem noch die Aufgabe übernommen, eine Liste der Gegenstände anzufertigen und eine Kopie davon an der Außenseite der Kisten zu befestigen. Heute Morgen sollten diese nun abgeholt werden.
Als sie nach dem Frühstück zur Ausgrabungsstätte hinüberging, herrschte dort große Aufregung.
„Was ist denn los?“, fragte sie einen der Studenten.
„Paul ist auf eine antike Grabstätte gestoßen!“, lautete die Antwort.
„Den Knochen und Schmuckstücken nach zu schließen handelt es sich um mehr als nur ein Grab“, wusste ein anderer zu berichten.
Die allgemeine Aufregung übertrug sich auch auf Lisa. Würde dieser Fund genügen, um eine Fristverlängerung zu erwirken? Oder würde Karim trotzdem darauf bestehen, dass sie ihre Zelte abbrachen, damit man mit dem Dammbau beginnen konnte?
Pünktlich trafen die Lastwagen im Camp ein. Lisa erklärte den Fahrern, welche der Kisten sie mitnehmen konnten. Die anderen, die im Laufe der nächsten Woche gepackt werden sollten, würden in regelmäßigen Abständen abgeholt werden. Wo blieb Professor Sanders?
Sämtliche Kisten waren bereits auf die Lastwagen geladen, als Lisa ihn durch das Camp auf sie zueilen sah.
„Lisa, Gott sei Dank!“, rief er, als er ins Zelt kam. „Sie müssen für mich einspringen, denn wir anderen werden alle hier gebraucht. Ich
Weitere Kostenlose Bücher