Lockende Kuesse
von London vorbei. »Ach, lassen Sie uns doch den Tower besuchen, Patrick, bitte.«
»Wie könnte ich dir etwas abschlagen, wenn du mich so süß bittest? Aber ich glaube, zuerst einmal brauchen wir eine Stärkung.«
Die Kutsche hielt in Wapping Wall vor dem Prospect of Whitby an. »Ach, ist das nicht so was wie ein Gasthaus?«, erkundigte sie sich zweifelnd, während er ihr aus der Kutsche half.
»Ja, ein Pub, der Beste an der Themse. Ist schon seit 1509 hier.«
»Na ja, finden Sie es in Ordnung, dass ich da reingehe?«
»Nun ja, einige Damen würden sich wahrscheinlich weigern, aber bist du nicht das Mädel, das noch heute Morgen gesagt hat, dass es überall hingehen und alles erleben will?«
Da hakte sie sich bei ihm unter und blickte mit einem einladenden Lächeln zu ihm auf. »Na, worauf warten wir dann noch?«
Er führte sie nach oben auf die Uferpromenade. Es war Flut und der Prospect stand auf hohen Stelzen im Wasser. Kitty bekam zahlreiche bewundernde Blicke und bemerkte, dass sie die einzige Frau im Lokal war. Patrick bestellte für sie beide. Sie aßen Pate, Weißbrot und in Butter geschmorte Forelle. »Im letzten Jahrhundert haben sich hier vor allem Diebe und Schmuggler rumgetrieben. Und natürlich die Henker - der öffentliche Hinrichtungsplatz ist gleich auf der anderen Straßenseite.«
Sie erschauderte. »Ich find's hier ein bisschen unheimlich.«
»Warte, bis du den Tower siehst, da ist's noch viel unheimlicher«, versprach er ihr.
Anstatt Weißwein zum Fisch bestellte er Met für sie und Glühwein für sich selbst. »Schmeckt er?«
»Einfach köstlich«, erwiderte sie träumerisch. »Ich komme mir vor wie Königin Guinevere, die Met schlürft.«
»Aber du bist noch viel schöner«, versicherte er ihr.
Danach führte er sie wie versprochen in den Tower und lenkte ihre Schritte zum Jewel House, der Schatzkammer.
»Die Rüstungskammern sind auf drei Stockwerke verteilt, aber man muss über steile Treppen steigen, wenn man hinkommen will, und danach führt eine ellenlange Wendeltreppe mit über hundert Stufen wieder hinunter zum Ausgang. Würde es dir sehr viel ausmachen, wenn wir die Kammern heute überspringen?«
»Ach, sehen Sie mal, da sind die Raben. Sie müssen sich verbeugen, Patrick.«
Er lachte. »Ich bin doch auch Ire, oder hast du das vergessen?«
»Ich kann die Traurigkeit hier richtig fühlen, Sie auch?«, fragte sie bekümmert.
»Ja klar, und all das Böse und die Leiden, aber das sollte uns nicht den schönen Tag verderben. Komm, sieh dir mal die Kronjuwelen an, die werden dir sicher gefallen.«
Kitty war hingerissen von den mit dicken Juwelen verzierten Kronen und Zeptern.
Er flüsterte ihr ins Ohr: »Magst du Diamanten, Kitty?«
»Ich mag Perlen«, erwiderte sie leise.
»Aber Perlen sind doch für Tränen«, protestierte er.
»Irisch zu sein, heißt doch, dass man weiß, dass einem noch vor dem vierzigsten Lebensjahr das Herz gebrochen wird.«
»Mein Gott, das muss an diesem Ort hier liegen. Komm, lass uns gehen«, sagte er lachend.
Sie fuhren gerade am Green Park vorbei, als er bemerkte: »Die Half-Moon-Street ist gleich auf der anderen Seite des Parks.«
»Oh, könnten wir aussteigen und den restlichen Weg zu Fuß gehen?«.
»Aber sicher, Schätzchen.« Er befahl seinem Kutscher, die Päckchen zu Mrs. Harris in die Half-Moon-Street zu liefern. »Sag ihr, dass wir bald da sein werden. Dann kannst du die Kutsche zum Cadogen Square zurückbringen. Ich brauche dich heute nicht mehr.«
Er nahm ihre Hand und so schritten sie gemeinsam durch den Park. Kitty öffnete ihr Schirmchen und schwebte selig neben ihm her. »Ach, Patrick, das war der schönste Tag meines Lebens.«
Die Sonne versank langsam hinter den Bäumen, und viele Leute lenkten nach einem Spaziergang im Park ihre Schritte Richtung Heimat. Viele kalte Blicke streiften sie, weil sie Händchen hielten und scheinbar alles um sich herum vergessen hatten.
Bevor sie noch die oberste Stufe erreicht hatten, flog die Haustür auf, und Mrs. Harris knickste höflich vor ihrem neuen Herrn.
»Guten Abend, Mrs. Harris. Das ist Ihre neue Herrin, Kit... äh, Kathleen Rooney.«
»Guten Abend, Ma'am.« Noch ein flüchtiger Knicks. »Ihre Pakete sind bereits eingetroffen, und ich habe mir die Freiheit genommen, sie in Ihrem Schlafzimmer auszupacken, Ma'am.«
Mrs. Harris freute sich sehr, als sie sah, wie jung Kitty war. Sie war sicher, dass sie ein so junges Ding unter dem Daumen halten konnte. Es war
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