Lockruf der Highlands: Roman (German Edition)
wahrhaftig beängstigend ist.
Ich wünsche Ihnen also viel Glück, junger Mann – nicht nur für die unmittelbar vor Ihnen liegende Wegstrecke, sondern auf Ihrer gesamten Lebensreise. Machen Sie sich nichts daraus, dass ich mich empfohlen habe, bevor Sie mir noch für alles danken konnten, was ich für
Sie getan habe; eines Tages werden wir einander wieder begegnen, dann bekommen Sie noch Ihre Chance. Gott befohlen, Renoir. Ihr ergebener Diener Roger de Keage.
Luke schnaubte. »Wenn wir einander wieder begegnen, werde ich ihm den Hals umdrehen!«
»Mein Gott«, flüsterte sie matt. »Er ist Ahnherr des MacKeage-Clans.«
»Ahnherr dummer Streiche, meinst du wohl«, sagte er halblaut.
»Hm… Da ist noch ein Postscriptum.«
Luke schnaubte abermals. »Der alte Halunke drückt sich gern geschwollen aus.«
Sie senkte ihren besorgten Blick auf die Karte. »P.S.«, las sie. »Ihnen bleiben nur noch sechs Stunden und vierundvierzig Minuten, Renoir. Jetzt ist Eile geboten. Machen Sie sich schleunigst an Ihr Wunder.«
21
V ier Stunden später war Luke in größter Sorge. Anstatt Camry das Leben zu retten, musste er sich der Möglichkeit stellen, dass er ihr Leben gefährdete. Zum dritten Mal binnen einer halben Stunde kniete er neben dem Schlitten nieder, völlig erschöpft von dem mörderischen Tempo, mit dem er sich fortbewegt hatte, und schob die Abdeckplane nach hinten. Tigger blinzelte ihn aus Camrys Jacke heraus mit einem traurigen Winseln an, dann leckte sie ihr die bleiche Wange und sah wieder Luke an.
»Ich weiß, Tig«, stieß er zwischen keuchenden Atemzügen hervor, während er seine Handschuhe abstreifte. Er berührte Camrys Wange, fühlte ihr den kaum spürbaren Puls, der in den letzten vier Stunden immer schwächer geworden war. »Ich bin doch auch in Sorge um sie. Du machst deine Sache gut und hältst sie warm«, redete er schmeichelnd auf den kleinen Hund ein und griff unter die Jacke, um sich zu vergewissern, dass Tiggers Gewicht auch noch auf der Matratze ruhte und Camry nicht auf die Rippen
drückte. Er kraulte den Dackel am Ohr. »Hoffen wir, dass es die zusätzliche Tablette ist, die sie so tief schlafen lässt, und nicht ein Schock.«
Er schlang seinen Arm um Max, als der Hund kam und Camry ebenso ängstlich winselnd mit der Schnauze anstupste. »Okay, ihr Rasselbande, jetzt muss ein neuer Plan her«, flüsterte er, und als er Max tätschelte, zitterte ihm die Hand. »Dieser klappt nämlich nicht.«
Max schob seine Schnauze in den Schlitten neben Camry, dann hob er den Kopf, im Maul Rogers Spitzhut, den er auf ihr Gesicht fallen ließ. Als Luke danach griff, stupste Max Camry mit einem Winseln ins Haar.
»Na schön, wenn du unbedingt möchtest, setze ich ihr den Hut auf.« Luke nahm ihr die Wollmütze ab, um ihr den schweren Spitzhut aus Samt aufzustülpen.
Camry bewegte sich, ihre Wangen färbten sich leicht.
Luke tastete wieder nach ihrem Puls. Viel stärker, wie er sofort spürte. »Donnerwetter«, flüsterte er aufatmend. »Es hat geholfen.« Er sah zuerst Max, dann Tigger an. »Sonst noch Vorschläge? Ich bin jetzt für alles offen, selbst wenn es mir noch so hirnverbrannt erscheint.«
Max rannte plötzlich los, den Weg entlang, dann
bog er ebenso plötzlich in den Wald ab. Er blieb stehen, drehte sich nach Luke um und bellte laut.
Luke erhob sich, stöhnte, als seine Muskeln protestierten, und zog die Plane über den Schlitten. »Na komm, Tigger. Mal sehen, wohin Max möchte.« Er hängte sich das Seil wieder über die Schulter und ging den Weg entlang.
Aufkeimende Hoffnung ließ ihn den Schritt beschleunigen. Vielleicht witterte Max ja ein Holzfeuer oder sonst etwas, das von naher Hilfe zeugte?
An der Stelle, wo der Labrador im Dickicht verschwunden war, entdeckte Luke etwas, das aussah wie Wildwechsel. Max stand etwa zwanzig Meter entfernt unter den Bäumen; er war ihm zugewandt und wedelte mit dem Schwanz. Ein kurzes Kläffen, dann drang er tiefer in den Wald ein.
Luke ließ seinen Blick den Pfad entlangwandern – den sicheren Weg in die Zivilisation –, dann sah er wieder zu der Stelle, wo Max gerade verschwunden war. Es war noch nicht vier Uhr, und die Sonne war bereits untergegangen. Es war der kürzeste Tag des Jahres, ihnen stand also die längste Nacht des Jahres bevor. Doch auch in dem schwachen Licht konnte er erkennen, dass der See nur etwa hundert Meter weit weg war.
Von Max, mittlerweile außer Sichtweite, war wieder ein aufgeregtes Bellen zu hören.
Luke
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