Lockruf Der Leidenschaft
würde dies Seine Gnaden mit Sicherheit neugierig machen, insbesondere, wenn die Zurückweisung des Geschenks von der Annahme seiner Einladung am nächsten Abend zu einer Zusammenkunft in seinem Haus in The Strand begleitet wurde. Er würde nicht wissen, was er von einer Nachricht mit zwei so unterschiedlichen Aussagen halten sollte.
»Sue, gib das hier dem Überbringer zurück.« Polly legte die Brosche in das Päckchen zurück. »Aber sag ihm, dass Mistress Wyat sich sehr glücklich schätzt, die Einladung des Herzogs für morgen annehmen zu dürfen ... Natürlich«, fügte sie ein wenig niedergeschlagen hinzu, »wäre es zwar besser, wenn ich die Nachricht selbst schreiben würde, aber ich weiß nicht, ob ich es auch richtig schreibe, und bis Mylord wieder hier ist und mir helfen kann, kann ich nicht warten.«
Sue warf Polly einen verunsicherten Blick zu. »Warum schickt dir Seine Gnaden denn überhaupt Einladungen und Geschenke, Polly? Es ist nicht recht, wenn du gleichzeitig unter dem Schutz von Mylord lebst.« »Es ist etwas, das ich für Mylord und Lord De Winter tun muss«, erklärte Polly »Sei ganz beruhigt. Mylord weiß darüber Bescheid.«
»Trotzdem scheint es mir nicht ganz richtig«, murmelte Sue und nahm das Paket wieder entgegen. Das kann es auch nicht, dachte Polly, als sich die Tür hinter ihr schloss. Sue konnte sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, von wie viel Heuchelei und Widersprüchlichkeiten das höfische Leben geprägt war, ein Leben, in dem eine verheiratete Frau ein Kind von einem anderen Mann bekommen konnte und der Ehemann diesen Bastard auch noch mit Freuden als sein eigenes Kind annahm. Ein Leben, in dem die Hurerei ebenso unverblümt betrieben wurde wie in den Bordellvierteln von Covent Garden und doch einen ganz anderen Namen trug. Schönheit, kultiviertes Auftreten und die Fähigkeit, das Spiel mit der nötigen Diskretion zu spielen, waren die einzigen Werte, die in diesem Leben zählten.
Polly wiederum, die aus Sues Welt stammte, wo zwischen Mätresse und Hure keinerlei Unterschied bestand, musste immer wieder feststellen, dass sie sich im Grunde nicht sicher war, welchen Platz sie in diesem Szenario einnahm. Solange es um den Hof ging, war sie - das war gemeinhin bekannt - die Mätresse von Lord Kincaid. Wussten aber Prue und die anderen Bewohner der Schenke »Zum Hund« davon, würden sie Polly zweifellos als die Hure Seiner Lordschaft bezeichnen. Also, was war sie nun eigentlich? Aber war dies andererseits überhaupt von Bedeutung? Wichtig war doch nur, was sie in Nicks Augen war, und er wiederum hatte keinerlei Zweifel an seiner Sichtweise gelassen ... Und dennoch war er bereit gewesen, die Dienste einer Hure von ihr zu verlangen ... Wann hatten er und seine Freunde das erste Mal darüber nachgedacht, sie für ihre Zwecke einzusetzen? Wer hatte sich diesen Plan eigentlich ausgedacht? Es ist möglich, dass wir uns gegenseitig noch von Nutzen sein können... Zum Teufel noch mal!, dachte Polly wütend und benutzte dabei unwillkürlich denselben Fluch wie Nicholas. Welche Rolle spielte das denn schon? Sie hatte sich aus freien Stücken bereit erklärt mitzumachen, also steckte sie wohl oder übel auch in dieser Sache mit drin.
Sie trat wieder ans Fenster und blickte auf die Straße hinunter, um zu beobachten, wie der Diener des Herzogs die Nachricht entgegennahm. Er machte keinen besonders glücklichen Eindruck, als Sue ihm das Paket wieder in die Hand drücken wollte, und es schien sogar eine heftige Diskussion zwischen den beiden darüber entbrannt zu sein.
Vielleicht glaubt man ja, dass er bei der Ausführung seines Auftrages versagt hat, überlegte Polly, und macht ihn für meine Ablehnung verantwortlich. Nun, daran würde sie leider nichts ändern können.
»Er wollte es einfach nicht wieder zurücknehmen«, erklärte Sue Polly, als sie in den Salon zurückkehrte. »Er hat gesagt, dass Seine Gnaden dann sehr wütend werden würde.«
»Aber es ist ja wohl kaum die Schuld des Burschen.« Aber wie wütend wäre der Herzog dann erst auf sie} Polly zuckte die Achseln und schob den Gedanken rasch beiseite. Mit diesem Problem würde sie sich später noch befassen können. »Ich muss Mylord unbedingt eine Nachricht zukommen lassen ... Die kann der Bursche der Bensons dann überbringen.« Polly zog an der Klingelschnur und fühlte sich plötzlich von einer rastlosen Energie erfüllt, als ob sie sich nun, da das Projekt in Gang gesetzt worden war, der Angelegenheit
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