Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
Vom Netzwerk:
grimmig. »Sie wurde ihr gestohlen, Colin. Eine niederträchtige Person schlich sich heute morgen in ihrer Abwesenheit in ihr Zimmer. Um die Zeit waren nur zwei Personen im Haus: Leyla und Martha.«
    »Und du selbst, Großmutter.« Ihre Augen funkelten. »Richtig. Und ich selbst.«
    »Und die Hausangestellten.«
    »Die habe ich gefragt – «
    »Du solltest vielleicht auch ihre Zimmer durchsuchen.«
    »Deine Angriffslust gefällt mir nicht, Colin.« Die Stimme meiner Großmutter wurde keine Nuance lauter, aber ihre Erregung war deutlich zu spüren. »Wie ich diese Untersuchung durchführe, ist meine Sache. Ich habe im übrigen bereits Leylas Zimmer durchsucht.«
    »Wie konntest du das wagen!« rief ich zornig und trat einen Schritt auf sie zu. Ich hätte wahrscheinlich einen Streit mit ihr begonnen, wenn nicht plötzlich Colin meine Hand gefaßt hätte. Obwohl er mich nicht ansah, sondern den Blick lächelnd auf Großmutter gerichtet hielt, spürte ich seine Besorgnis um mich.
    »Ich habe dir schon vor Tagen gesagt, meine Liebe, daß du dieses Haus verlassen und niemals zurückkehren sollst«, fuhr meine Großmutter mich an. »Aber du bist ja so störrisch wie ein Esel. Dann trage jetzt auch die Konsequenzen. In diesem Haus hat niemand ein Recht auf einen eigenen Bereich, wenn es um das Wohl der Familie geht. Der Wert des Schmucks ist nicht von Belang. Hier geht es um das Prinzip.«
    »Sind wir nicht vielleicht alle wegen des Todes von Henry ein wenig überreizt?« meinte Colin.
    »Verdammt noch mal, Colin!« schrie Theo ihn so wütend an, daß ich zusammenfuhr. »Was kümmert dich denn der Tod meines Vaters?« Colin blieb ruhig. »Das ist jetzt unwesentlich, Theo. Im Augenblick geht es darum, daß ihr alle hier über Leyla zu Gericht sitzt.« Er drückte meine Hand. »Richter, Geschworene und Henker in einem, ihr alle zusammen. Ich finde das weder gerecht noch englisch.«
    »Was du findest, ist mir verdammt noch mal völlig egal – «
    »Darf ich dich daran erinnern, daß Damen anwesend sind?«
    »Seit wann nimmst du Rücksicht auf den guten Ton?«
    »Also, wirklich, Theo – «
    »Halt’ endlich den Mund«, schrie Theo. »Ich habe genug von deinem Geschwafel. Und eines sage ich dir: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
    Es erstaunte mich, daß Colin es fertigbrachte, während dieser Haßtirade vollkommen unerschüttert zu bleiben. Ich hatte erwartet, daß er die Beherrschung verlieren und seinerseits wütend werden würde. Aber nichts dergleichen geschah. Es war beinahe so, als lege er es darauf an, Theo zu reizen, als beherrsche er ihn und hielt dabei selbst alle Fäden in der Hand.
    »Ich habe dir«, sagte er ruhig, »die Hälfte des Erbes angeboten.«
    »Auf dein Angebot kann ich verzichten.«
    »Und die alleinige Leitung der Spinnereien.«
    »Du beleidigst mich, Colin.« Theos Augen blitzten vor Zorn, seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Ich will keine Almosen. Das, was ich am Ende haben werde, werde ich auf dem Rechtsweg bekommen haben.«
    Erst jetzt sah ich zu Colin auf. Er wirkte ganz ruhig, beinahe uninteressiert. War sein Angebot, Theo die Hälfte des Erbes zu überlassen, ernstgemeint?
    »Ich bin gern bereit, dir das zu unterschreiben, wenn du das wünschst«, fuhr Colin fort. »Du kannst das alleinige Eigentum an den Spinnereien haben.«
    »Ich traue dir nicht und ebensowenig irgendwelchen Dokumenten, die du dir von deinem Anwalt aufsetzen läßt. Ich werde nach London vor Gericht gehen und die Sache dort ausfechten.«
    »Theo, das ist wirklich überflüssig – «
    »Gebt jetzt endlich Ruhe! Alle beide!« sagte meine Großmutter schneidend. Die knochigen Hände zitterten, als sie die Armlehnen ihres Sessels umklammerte. »Ich dulde keinen Streit in der Familie. Und ich dulde auch nicht, daß die Wünsche meines verstorbenen Mannes mißachtet werden. Er war bei klarem Verstand, als er sein Testament machte. Er muß gute Gründe gehabt haben, das gesamte Vermögen Colin zu hinterlassen. Ich verbiete dieses erbärmliche Gezänk. Ihr entwürdigt damit den Namen der Familie und euch selbst. Ich verbiete jede weitere Debatte über dieses Thema. Und jetzt geht alle miteinander. Ihr habt mich müde gemacht. Ich bin eurer todmüde.«
    Theo stand unbewegt mit finsterer Miene, während sich Colin nach mir umdrehte und leise sagte: »Kann ich dich nach oben begleiten?«
    »Ja«, antwortete ich ebenso leise.
    Erst als wir die Treppe hinaufgingen, entzog ich ihm meine Hand, um meine Röcke zu raffen. Wir

Weitere Kostenlose Bücher