Löcher: Die Geheimnisse von Green Lake (Gulliver) (German Edition)
am Strand. Stattdessen hockten sie in einer winzigen Wohnung aufeinander, in der es nach verbranntem Gummi und Fußschweiß stank.
Wenn, ja wenn ...
Die Wohnung stank deswegen so, weil Stanleys Vater dabei war, ein Recyclingverfahren für gebrauchte Turnschuhe zu entwickeln. »Der Erste, der eine Methode erfindet, wie man alte Turnschuhe wieder verwenden kann«, sagte er immer, »der wird ein reicher Mann.«
Dieses letzte Projekt seines Vaters war es, das zu Stanleys Festnahme geführt hatte.
Der Bus holperte jetzt immer heftiger, weil die Straße nicht mehr asphaltiert war.
Ehrlich gesagt war Stanley zunächst einmal beeindruckt gewesen, als er erfuhr, dass sein Urgroßvater von Kissin’ Kate Barlow ausgeraubt worden war. Klar, ihm wäre es auch lieber gewesen, irgendwo in Kalifornien am Strand zu leben, aber andererseits war es auch ziemlich cool, jemanden in der Familie zu haben, der von einer berühmten Banditin ausgeraubt worden war.
Genau genommen hatte Kate Barlow Stanleys Urgroßvater gar nicht geküsst. Das wäre nun wirklich cool gewesen, aber sie hatte immer nur die Männer geküsst, die sie umgebracht hatte. Ihn aber hatte sie nur ausgeraubt und mitten in der Wüste zurückgelassen.
»Er hat immerhin das Glück gehabt, dass er mit dem Leben davongekommen ist«, beeilte sich Stanleys Mutter immer zu sagen.
Der Bus wurde langsamer. Ächzend reckte und streckte sich der Wachmann.
»Willkommen in Camp Green Lake«, sagte der Fahrer. Stanley schaute durch das schmutzige Fenster. Er sah überhaupt keinen See.
Und grün war es eigentlich auch nirgends.
4
Stanley fühlte sich leicht benommen, als der Wachmann ihm die Handschellen abnahm und ihn aussteigen ließ. Er hatte über acht Stunden im Bus gesessen.
,Vorsicht!«, sagte der Busfahrer, als Stanley die Stufen hinunterstieg.
Stanley war sich nicht sicher, ob der Fahrer gemeint hatte, er solle beim Aussteigen vorsichtig sein, oder ob vielleicht in Camp Green Lake Vorsicht geboten war. »Danke fürs Mitnehmen«, sagte er. Sein Mund war trocken und der Hals tat ihm weh. Er trat auf harten, trockenen Boden. Da, wo an seinem Handgelenk die Handschellen gesessen hatten, glänzte der Schweiß.
Die Gegend schien verlassen und absolut kahl. Er sah ein paar heruntergekommene Gebäude und einige Zelte. Ein Stück entfernt stand eine Hütte zwischen zwei Bäumen. Außer diesen beiden Bäumen war an Pflanzen nichts zu sehen. Nicht einmal Unkraut gab es.
Der Wachmann brachte Stanley in ein kleines Gebäude. Auf einem Schild am Eingang stand: SIE BETRETEN DIE BESSERUNGSANSTALT CAMP GREEN LAKE. Gleich daneben war ein zweites Schild, auf dem darauf hingewiesen wurde, dass es einen Verstoß gegen die texanischen Gesetze darstelle, das Gelände mit Gewehren oder sonstigen Waffen, Sprengstoff, Drogen oder Alkohol zu betreten.
»Das fängt ja gut an«, dachte Stanley, als er das Schild las. Er folgte dem Wachmann ins Innere des Gebäudes, wo zu seiner großen Erleichterung eine Klimaanlage eingeschaltet war.
An einem Schreibtisch saß ein Mann. Die Füße hatte er auf die Platte gelegt. Als Stanley und sein Bewacher eintraten, drehte er zwar den Kopf, rührte sich aber sonst nicht. Obwohl er doch im Haus war, trug er eine Sonnenbrille und einen Cowboyhut. In der Hand hielt er eine Büchse Mineralwasser und allein der Anblick machte Stanley noch durstiger.
Er wartete, während sein Bewacher aus dem Bus dem Mann ein paar Papiere zum Unterschreiben gab.
»Das sind aber ziemlich viele Sonnenblumenkerne«, sagte der Wachmann.
Stanley bemerkte einen Sack, der neben dem Schreibtisch auf dem Boden stand.
»Ich hab letzten Monat mit dem Rauchen aufgehört«, sagte der Mann mit dem Cowboyhut. Auf seinem Arm war eine Klapperschlange eintätowiert, und es sah so aus, als bewegten sich ihre Hornringe. »Vorher hab ich eine Schachtel am Tag geraucht. Jetzt ess ich jede Woche einen Sack von diesen Dingern.«
Der Wachmann lachte.
Hinter dem Schreibtisch musste es einen kleinen Kühlschrank geben, der Mann mit dem Hut holte nämlich auf einmal noch zwei Büchsen mit Wasser hervor. Stanley hoffte schon, dass eine davon vielleicht für ihn sei, aber der Mann gab eine dem Wachmann und sagte, die andere sei für den Busfahrer.
»Erst neun Stunden her, und jetzt wieder neun Stunden zurück«, schimpfte der Wachmann. »Wirklich ein klasse Tag!«
Stanley dachte an die lange, beschwerliche Busfahrt und der Wachmann und der Busfahrer taten ihm direkt ein bisschen Leid.
Der Mann
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