Löffelchenliebe (German Edition)
vorsichtigen Blick zu, den er völlig falsch deutet.
»Ich glaube, Anna und ich, wir sind da einer Meinung. Das ist für uns wirklich kein Thema.« Er drückt wie zur Bekräftigung meine Schulter. »Und außerdem gibt’s ja auch noch die Überbevölkerung.«
»Die was ?« Meine Mutter sieht ihn mit großen Augen an.
Und ich, ich habe das Gefühl, in den falschen Film katapultiert worden zu sein.
»Die Überbevölkerung«, murmelt David und heftet seinen Blick ans gegenüberliegende Elbufer. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen Teil dazu beitragen will.«
»Ich will nach Hause.« Opa Richard klingt weinerlich.
»Ich auch.« Ich klinge auch weinerlich.
»Mein Hallux valgus tut weh.« Meine Mutter humpelt mit ihrem schiefen großen Zeh über die Picknickdecke.
»Der Wein schmeckt eklig.« Richard gießt seinen Saft in den Sand.
Der Himmel hat sich zugezogen, es weht ein kalter Wind.Schweigend laufen wir zum Auto zurück, der Kies auf dem Parkplatz bohrt sich schmerzend in meine nackten Füße. Die ganze Fahrt über sprechen wir kein Wort. Richard öffnet die Wagentür, kaum dass wir auf dem Parkplatz des Altenheims anhalten, und winkt ab, als wir ihn auf seine Station begleiten wollen. Mit gebeugtem Rücken verschwindet er im Gebäude.
Als wir auch meine Mutter zu Hause abgesetzt haben, die ebenfalls komplett verstummt ist, fahre ich in eine Tankstelleneinfahrt und komme neben den Staubsaugern zum Stehen.
Ich sehe David an und fasse mir ein Herz: »Sag mal, wie hast du das vorhin eigentlich gemeint ? Das mit der Überbevölkerung und so ?«
David räuspert sich. »Tja, also, das ist tatsächlich ein großes Thema. Die Tragfähigkeit der Erde kommt zunehmend an ihre Grenzen, die Ressourcen sind erschöpft, die Meere überfischt, eine Milliarde Menschen auf dieser Welt hungern.«
Er weicht meinem Blick aus.
»Äh, also, ich meinte eigentlich, was sagst du zu dem Thema, das Richard und meine Mutter vorhin angeschnitten haben ?«
»Dass ich meinen Führerschein machen soll ?« Er lacht, und sein Lachen klingt schal. »Du, das passt überhaupt nicht zu meinen …«
»David ! Ich meinte: Willst du Kinder ?«
Nein, nein, nein ! Genau so wollte ich das nicht ansprechen. Es sollte beiläufig klingen, es sollte einem Gefühl der Nähe entspringen und nicht der Angst, die mir jegliche Luft zum Atmen nimmt. Ich kann David nicht einmal mehr ansehen.
Wir schweigen.
Ich lasse das Fenster herunter, die Abendluft ist kühl, mein Atem flach. David öffnet das Handschuhfach und schließt es wieder.
»David ?«
Er räuspert sich noch einmal und sieht mich an. »Ehrlich gesagt, nein, ich möchte keine Kinder. Ich konnte mir noch nie vorstellen, selbst mal Vater zu sein.«
Er schweigt, und ich weiß nicht, wo ich hingucken soll.
»Weißt du, Anna, ich will einfach so losfahren können, zum Beispiel mit dem Rad, ohne mich wegen irgendwelcher Kinder groß absprechen zu müssen. Ich will frei sein. Ja, ich glaube, das ist es: Freiheit. Ich hatte vorhin am Strand das Gefühl, dass das auch für dich kein Thema ist. Du hast dich doch genauso über die beiden geärgert wie ich.«
»Aber doch nur, weil …«
In diesem Moment zerbricht etwas in mir, es scheppert leise, und ich weiß: Früher oder später werde ich eine Entscheidung treffen müssen.
Sieben
E s ist kalt in deutschen Landen. Und besonders kalt ist es in Hamburg. Wenn ich mir in diesen Tagen die Fernsehnachrichten ansehe, schalte ich vor dem Wetterbericht ab. Das ist ja nicht zum Aushalten, dass in Bayern Temperaturen von um die achtzehn Grad einen goldenen Herbst versprechen, während ich meinen Wintermantel entstaube, Felleinlagen in meine Stiefeletten stopfe und wie jedes Jahr zum Mützenkauf aufbreche, weil die alte plötzlich nicht mehr aussieht auf meinem Kopf.
»Ich habe da eine ganz pfiffige Übergangsjacke bei Tchibo für dich zurücklegen lassen. Die geht bis über den Hintern, da holst du dir keine Blasenentzündung oder Hämorrhoiden, wenn du auf einem kalten Mäuerchen sitzt.«
»Mama, ich sitze auf keinem kalten Mäuerchen.«
»Die haben auch eine passende Mütze und den passenden Schal zur Jacke, alles in fröhlichen Farben gemustert, grün-rot-orange-gelb-lila…«
»Bunt steht mir nicht.«
»Das passende Twinset haben die auch, und auf alles zusammen gibt es Mengenrabatt. Ich habe dir die Sachen mal zurücklegen lassen, da musst du jetzt schnell hin. Mädchen, du musst doch gut über den Herbst kommen. Wir sind hier ja nicht in
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