Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Edith verzweifelt. »Ich bin Edith de Kyme, das ist mein Bruder Robert de Kyme, und er hier ist … äh … John de Loxley … ähm … seine Mutter ist … äh … die Schwester meines Vaters … ja … äh …«
Johnny »de Loxley« funkelte sie an, setzte sich aber unwillkürlich aufrechter hin und verbarg seine dreckigen Fingernägel. Edith hatte keine Ahnung, ob es einen Sir Loxley gab. Ihr war lediglich eingefallen, dass Victor d’Aspel das Gebiet um Loxley als gutes Jagdgebiet bezeichnet hatte.
Zwei Plätze weiter horchte ein anderer Mann auf. Sein Haar war weder kurz genug für einen Bauern noch lang genug für einen Adeligen. Seine Tunika war mit schimmernden Borten bestickt und die Kette um seinen Hals musste aus Gold sein. Er beugte sich zu Edith herüber.
»Kyme?«, wiederholte er. »Seid Ihr mit Wilfrid de Kyme verwandt?«
»Er ist unser Vater«, sagte Edith.
»Ist er wieder in England? Dann habt Ihr das Lösegeld aufbringen können?«
Robert und Edith blickten einander stumm vor Staunen an. Ediths Gesprächspartner brummte ungehalten: »Wenn Ihr mir hier einen Bären aufbinden wollt, dann besinnt Euch so schnell wie möglich darauf, wer Ihr wirklich seid. Sonst …« Er sah sich suchend nach Guilhelm de Longchamp um.
»Der Name meiner Mutter ist Diane de Rochefoucauld, unser Besitz liegt …«
»Es geht ihn überhaupt nichts an, wo unser Besitz liegt!«, warf Robert ein.
Der prächtig gekleidete Mann lächelte. »Eins ist sicher: Ihr seid von Adel. Denn der junge Herr hier besitzt genau die richtige Mischung aus Hochmut und Dummheit.«
Robert blies empört die Wangen auf.
»Wenn Ihr seid, was Ihr zu sein vorgebt, müsstet Ihr mich eigentlich kennen«, sagte der Mann.
Edith dachte nach. Dann dämmerte es ihr. Die angelsächsische Sprache, die Verachtung gegenüber dem Adel, die teure Kleidung, die ihm dennoch nur eine Platzierung hier ganz am Ende des Tischs eingebracht hatte … Sie starrte auf die Hände des Mannes: lange, kräftige Finger, die Fingernägel kurz und die Fingerkuppen glänzend von Hornhaut …
»Ihr seid Oswald Armorer, der Rüstungsmacher!«, sagte Edith.
»Falsche Betonung, Mylady«, sagte Oswald grinsend. »Ich bin Oswald Armorer, der Rüstungsmacher!«
»Mein Vater hat mein erstes Panzerhemd bei Euch anfertigen lassen«, rief Robert.
»Euer Vater war ein guter Kunde. Ich hoffe zu Gott, er wird es wieder werden.«
»Was meint Ihr mit ›Lösegeld‹?«, hakte Edith nach.
Oswald musterte sie nachdenklich. Dann wandte er sich unvermittelt an den Mann, der zwischen ihm und Robert saß. »Sir Penda, wollt Ihr so gut sein?«
Sir Penda zuckte die Achseln, dann tauschte er mit Oswald die Plätze.
»Euer Vater«, erläuterte Oswald, »befand sich in der Gewalt von Raynald de Chatillon, dem übelsten Burschen im ganzen Heiligen Land und …«
Johnny horchte auf. »Raynald de Chatillon?«, stieß er hervor. »Der Held von Kerak? Der Elefant Gottes? Der tapferste Kämp…«
»Mein lieber Sir Loxley«, sagte Oswald so übertrieben höflich, dass Edith klar war, es gab keinen Sir Loxley, »Raynald de Chatillon ist alles, nur kein Held. Was immer aus ihm geworden ist nach der Schlacht von Hattin, eines ist sicher: Ganz egal, wer ihn fängt, die Tempelritter, die Johanniter oder Sultan Saladin – Raynald tanzt mit der Seilerstochter.«
Johnnys Mund arbeitete lautlos. Für ihn stürzte soeben eine Welt ein. »… fängt? …«, echote er.
»Seilerstochter?« , fragte Robert.
Oswald seufzte: »Wer ihn erwischt, hängt ihn auf«, sagte er schlicht.
»… hängt ihn auf«, ächzte Johnny.
»Selten hat es einer mehr verdient als er.«
»Aber …«, stammelte Johnny.
Edith legte ihm eine Hand auf den Arm. »Unser Vater ist mit seinem Schiff vor der Küste des Heiligen Landes gekentert«, wisperte sie. »Es heißt, niemand habe das Unglück überlebt.«
»Das Schiff Eures Vaters ist gesunken, das ist wahr. Aber es ist nicht gekentert, es ist von Raynald de Chatillon und seinen Piraten versenkt worden. Euer Vater wurde von ihm gefangen genommen. Aber das müsstet Ihr alles längst wissen. Die Lösegeldforderung wurde Eurer Familie schon überbracht, soweit ich weiß.«
Edith war so schockiert, dass sie nichts entgegnen konnte.
Oswald hob beschwichtigend die Hand. »Nichts sagen, Mylady«, brummte er beinahe sanft. »Habe ich Recht damit, dass man Euch und Eurem Bruder erzählt hat, Euer Vater sei tot? Dass auf die Lösegeldforderung nie geantwortet wurde?
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