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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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hatte so viel hinter mir gelassen.

Unter Frauen
    Ein Haus am Alsterkanal, ein großer Garten mit Bäumen und Büschen, die sich rot und gelb färbten, eine Villa aus warmem roten Backstein, dahinter ragte ein hoher, stillgelegter Fabrikschornstein in den Himmel. Meine neue Welt. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei. Das Eisentor, umrankt von Rosenbüschen, das klingt sehr kitschig, aber es kam mir vor wie im Märchen: das Tor zu meiner Freiheit. Ich war zu Hause, angekommen in Hamburg-Mundsburg. Ein unbeschreibliches Gefühl, das ich nie gekannt hatte, auch nicht in Tunesien.
    Es war Nachmittag, alle Türen, auch die Eingangstür standen weit offen. Duftschwaden von Kaffee und Kräutertee, säuerlicher Hibiskus, zogen durch den Raum, und es roch nach süßem Kuchen. Wie lange hatte ich keinen deutschen Kuchen gegessen, dabei liebte ich ihn seit meiner Zeit in der Bäckerei. Die Frauen saßen an einem langen alten Tisch beim Nachmittagskaffee. Wie in einer Schulklasse schwirrten die Stimmen durcheinander. Ich trat über zwei hohe Stufen in eine geräumige Eingangshalle, das Wohnzimmer. Alle anderen Räume und Flure des Hauses gingen davon ab. Da hörte ich schon jemanden »die Neue« sagen und spürte, wie sich alle Augen auf mich richteten. Das verschüchterte mich komischerweise gar nicht. Im Gegenteil, es war wie ein Auftritt. Nach meiner ersten Hamburger Wegstrecke, die ich gerade hinter mich gebracht hatte, genoss ich die Blicke der Frauen sogar.
    Ich weiß noch genau, was ich an diesem Tag trug: eine rosa Stoffhose und eine schwarze ärmellose Bluse. Die schwarze Jacke hatte ich mir lässig über die Schultern geworfen, meine langen, offenen Haare reichten bis zur Taille und waren ziemlich wild. Ich fühlte mich gut, richtete mich auf und erwiderte ihre Blicke: Das waren also die Frauen, die von ihren Männern verfolgt wurden, die schwanger waren oder Kinder hatten, ohne Job und ohne Wohnung waren. Hier fanden sie Hilfe. Ich zählte 18, Ausländerinnen und Deutsche, Junge und Alte. An einem versteckten Ort, der ganz offen auf mich wirkte.
    Eine Frau, sie mochte ungefähr in meinem Alter sein, erhob sich. Blonder Strubbelkopf, kurzes Kleid. Sie ging mir entgegen. »Frau Abdelhamid?«, fragte sie, worauf ich nickte. »Schön, dass Sie da sind. Haben Sie uns gleich gefunden?« Wie ein Kind lachte ich mich über meine Verlegenheit hinweg: »Ich glaube – sehr langer Weg. Länger als normal.« – »Was ist schon normal?«, sagte sie. »Aber jetzt sind Sie hier, das ist das Wichtigste.« Sie konnte nicht wissen, dass ich mich wie eine Bergsteigerin fühlte, die oben am Gipfelkreuz angelangt war. »Ich bin Anja, Betreuerin und Sozialpädagogin«, stellte sie sich vor. »Wenn Sie wollen, können wir gleich ins Büro gehen.« – »Nein, nein«, wehrte ich ab und sagte, dass ich gerne hier am Tisch sitzen und Tee trinken würde. Und Kuchen essen, Quarkhörnchen, die besten in ganz Hamburg.
    Ohne mich weiter zu beachten, wandten sich die Frauen wieder ihrer Unterhaltung zu. Es tat mir gut, dass sie mich in Ruhe ließen. Ich hätte auch nichts zu sagen gewusst, mir war nicht nach Sprechen zumute. Abgesehen davon, dass ich es kaum konnte. Also setzte ich mich auf einen freien Stuhl, beobachtete und schwieg.
    Frauen unter sich. Sie waren entspannt, die eine oder andere hatte sogar ihre Knie angezogen und die Füße lässig auf den Stuhl gestellt. Ich verstand nicht viel von dem, was sie sagten, aber sie lachten. Vielleicht sprachen sie über ihre Träume oder machten sich über ihre Männer lustig, keine Ahnung. Wie eine Familie, dachte ich, alle zusammen. So eine Familie, wie ich sie mir immer gewünscht hatte.
    Als mich Anja später mit ins Büro nahm, fiel mir zuerst die Fensterbank auf. Voller Pflanzen. Kakteen, Geranien, Begonien, Wasserlilien. Gemütlich. Auf dem Weg hierher hatte ich mir überlegt, was man wohl von mir wissen wollte und was man mich fragen würde. Aber Anja wollte gar nicht viel wissen. Die erste Frage, die sie mir stellte, war: »Können wir uns duzen? Wir sagen alle du.« Dann nahm sie meine Daten auf und fragte, ob ich mir vorstellen könne hierzubleiben. »Ja, ja«, sagte ich. »Ich will – will bleiben – schön hier.« – »Warten wir erst einmal ein paar Tage ab«, antwortete sie.
    Die Tür zum Büro stand sperrangelweit offen. Unser Gespräch hatte nichts Geheimes, dauernd wurden wir unterbrochen, weil irgendjemand hereinkam und etwas suchte oder wissen sollte. Hier

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