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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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hineingezogen werden. Und wenn meine Kinder kämen, bräuchte ich sowieso eine eigene Wohnung.
    Petra und Anja und zwei Freundinnen aus dem Frauenhaus haben mir geholfen, die Wohnung zu streichen. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich in einem Baumarkt, suche Abklebefolie, Pinsel und Farben aus. Ein helles Orange und Blau, ich will keine weißen Wände, die Leiter borgen wir vom Frauenhaus. Ein Wochenende lang streichen wir. Richtige Weiberarbeit. Wir kochen Tee, drehen das Radio laut auf, kleben Kanten ab und pinseln drauflos. Zuerst die Fenster und die Decken, dann die Wände. Zwischendurch machen wir Picknick am Boden mit Döner und Hähnchen vom Wienerwald. Montags habe ich Muskelkater.
    Ich kann es kaum glauben, meine erste eigene Wohnung. Im Gebrauchtwarenlager hole ich mit Anja Matratze, Schrank, Couch, Tisch und Stühle für ein paar Mark. Es sind alte Stücke vom Sperrmüll, nichts Besonderes, aber ich bin stolz darauf. Vor allem auf meinen Tisch. Er ist blau gestrichen und passt gut zu den Stühlen, die ich weiß anmale. Wie Himmel und Wolken. Zum ersten Mal eine Wohnung mit allem, was dazugehört: auch Töpfe, Teller, Schüsseln und Tassen, alles gebraucht, aber egal, alles kann ich selbst aussuchen und selbst bestimmen. Das ist ein wunderbares Gefühl, schöner als wenn bei den deutschen Hochzeitsfeiern die Verwandtschaft mit Geschirr ankommt, das der Braut nicht gefällt.
    »Na, wie fühlt sich eine eigene Wohnung an?«, fragte Anja bei einem der Geschirrtransporte, die wir miteinander machten. »Erwachsen!«, sagte ich. »Als ob ich jetzt erwachsen werden würde.« Endlich konnte ich mir mein eigenes Leben einrichten. Zum Einzug kaufte ich mir Wasserlilien für die Fensterbänke und einen Strauß feuerroter Astern, den ich auf den Tisch stellte.
    Ich hatte mich auf die Wohnung gefreut. Doch schon in den ersten Tagen merkte ich, dass es nicht einfach werden würde. Im Frauenhaus war ich aufgehoben, und ich hatte mich an den ganzen Trubel gewöhnt. Immer war jemand da, mit dem ich sprechen konnte. Jetzt musste ich auf einmal allein zurechtkommen. Keiner da, wenn ich spätnachmittags von der Arbeit nach Hause kam und erzählen wollte, welche Faxen Oma Hedwig oder Herr Georg gemacht hatten. Deshalb fuhr ich anfangs täglich auf einen Abstecher im Frauenhaus vorbei, ging hinterher einkaufen, dann nach Hause, ein Brot schmieren und ins Bett, um nicht die große Stille spüren und aushalten zu müssen. Manchmal ließ ich mir auch Wasser in die Badewanne ein. Während ich darauf wartete, dass sie sich füllte, stellte ich mich ans offene Fenster. Mindestens drei Flugzeuge sah ich in dieser Zeit in Fuhlsbüttel starten und landen. Immer dicht über meinem Haus vorbei, sodass ich mich unwillkürlich duckte. Wann würden in einem dieser Riesenvögel meine Kinder sitzen? Mehr denn je dachte ich an sie.
    Erinnerten sich Amal, Jasin und Amin überhaupt noch an mich? Je weniger ich von ihnen wusste, desto größer wurde die Sehnsucht. Am liebsten wäre ich zu Abdullah gefahren und hätte mich vor seine Tür gesetzt, so lange, bis er nicht mehr anders konnte, als mir die Pässe der Kinder zu geben. Ich würde ihn belagern, irgendwann würde er mürbe werden. Mich machte die Warterei schon lange mürbe. Alles Mögliche überlegte ich mir: Überfall, Erpressung, in die Wohnung einbrechen, die Algerierin als Geisel nehmen. Verdammt nochmal, ich bin doch die Mutter!
    An einem dieser Grübeltage fuhr ich zu meinem Lieblingseinkaufszentrum in Mundsberg und ließ mir die Haare schneiden. Schon lange war ich um den Friseursalon herumgeschlichen. Man brauchte sich nicht anzumelden, sondern konnte einfach spontan vorbeikommen. Ich hatte mir die Haare zu einem Zopf geflochten, der mir lang über den Rücken fiel. Jetzt war ich so weit. Ich stieß die Tür auf. Sie war mit dem Riesenfoto einer Kurzhaarfrisur beklebt. Als der Lehrling am Tresen fragte, was ich wolle, sagte ich: »Der Zopf muss weg, und dann möchte ich bitte so aussehen, wie die Dame auf dem Foto an der Tür.« Dem jungen Mann fielen fast die Augen aus dem Kopf, so verwundert war er. »Die schönen Haare«, rief er aus und dann nach seiner Chefin. Eine resolute Person, die mich prüfend ansah und mir einen Katalog mit Langhaarfrisuren vorlegte: »Schauen Sie sich das an. Wollen Sie sich nicht daraus eine schöne Frisur aussuchen?« – »Nein, nein«, sagte ich, »alles muss ab, bis hoch zu den Ohren.« Sie blätterte trotzdem ein wenig mit mir im Katalog und

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