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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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erst, nach so vielen Stunden Schiff- und Autofahrt. Zaudernd machte ich einen Schritt über die Schwelle, dann noch einen, dann ließ ich die Taschen fallen.
    Ich stand in einem Flur, klein wie eine Telefonzelle, und wartete. Automatisch, wie ich immer wartete, dass Abdullah etwas sagen würde, damit ich wüsste, was ich zu tun hatte. Ich erhaschte einen Blick ins Wohnzimmer, es hatte bunt tapezierte Wände, rote, gelbe, braune Kreise und Bögen, wie ich es noch nie auf Wänden gesehen hatte. Eine riesige Sofaecke, glänzend blaues Kunstleder, darauf lag eine beige Steppdecke, gegenüber eine dunkle Schrankwand und ein Fernseher. »Mein neues Zuhause!«, dachte ich, ohne irgendetwas zu fühlen. »Schuhe ausziehen!«, hörte ich die Stimme meines Mannes neben mir sagen. Und dass er noch einmal rausgehe, aber gleich wiederkäme. »Mach die Tür zu!«
    Gehorsam zog ich die Tür hinter ihm zu und beugte mich hinunter, um die Sandalen auszuziehen. Dann richtete ich mich wieder auf, schüttelte meine Haare nach hinten und streifte das umgebundene Tuch von meiner Schulter. Auf eine Toilette wäre ich gern gegangen, fragt sich nur wo?
    Ich fühlte mich fremd, wie auf Besuch. Nichts hatte mir Abdullah von der Wohnung erzählt und auch nichts gezeigt. Nun traute ich mich kaum, mich umzusehen. Ich spürte den weichen Teppichboden unter meinen nackten Füßen, grub die Zehen ein, ein schönes Gefühl, ähnlich wie auf dem Sand zu Hause. Wie ein Streicheln. Durch das Wohnzimmer ging ich direkt auf das Fenster zu. Ich fühlte mich allein. Fasste mit meinen Händen nach der weißen Gardine und hob sie hoch. Dann trat ich vor, ließ sie hinter mir fallen, stützte meine Ellenbogen auf das Fensterbrett auf, legte den Kopf in die Hände und starrte hinaus in die Nacht. Das Fenster war geschlossen, es sollte in den nächsten Monaten zu meinem besten Freund werden.
    Kein Mensch war zu sehen. Die Beleuchtung der Bäckerei erhellte einen kurzen Abschnitt der Straße, alles war still. Wo ist Abdullah bloß? Ich mache mir Sorgen, wie noch oft im Laufe der nächsten Monate. Was, wenn er nicht wiederkommt? Ich kenne niemanden in der Stadt, keine Menschenseele, kann die Sprache nicht, habe kein Geld. Er hat mich hier haben wollen, er ist der Einzige, den ich habe, an den ich mich wenden und an dem ich mich orientieren kann. Ich mag ihn nicht, aber ich brauche ihn. Und was tut er? Lässt mich einfach stehen, ohne mir zu sagen, was er vorhat.
    Ich fürchtete mich. Wie sollte ich wissen, dass er nur einen Parkplatz fürs Auto suchen und Zigaretten holen gegangen war? Als ich den Schlüssel im Schloss der Eingangstür hörte, drehte ich mich vom Fenster weg. »Wo warst du?«, fragte ich, »ich habe mir Sorgen gemacht.« Anstatt zu antworten, warf Abdullah mit einer lässigen Bewegung eine Packung Zigaretten auf den Couchtisch. Ich senkte den Blick, mein Mann zog die Schultern hoch, als wolle er sagen »Geht dich nichts an«, und verschwand durch die Tür ins Schlafzimmer.
    Die Koffer und Taschen standen noch im Flur. Aber es sah nicht so aus, als müssten sie gleich ausgepackt werden. Trotzdem machte ich mich daran zu schaffen. Wollte Zeit gewinnen und alleine sein. Ich nahm die Tüte mit den mitgebrachten Lebensmitteln und suchte die Küche. Sie war links vom Flur, samt kleiner Dusche und Geräten, die mir fremd waren: Brotschneidemaschine, Kaffeemaschine. Ich sah mich um, während ich Brot und Kaffee auspackte, dann machte ich das Licht aus und tastete mich auf Zehenspitzen wieder über die Taschen zurück durch das Wohnzimmer ins gemeinsame Schlafzimmer. Mein Mann hatte die Bettdecke über sich gezogen und atmete gleichmäßig. Er schlief! Allah sei Dank, dachte ich. Wieder eine Nacht, in der er nichts von mir wollte. Mich nicht automatisch und gefühllos nahm, wie er auch seine Zigaretten rauchte. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, doch hätte ich einen Wunsch frei gehabt, hätte ich mir ein Leben ohne Nächte gewünscht – nur noch mit Tagen.
    In Tunesien hatten alle gedacht, ich hätte das große Los gezogen. Mit diesem Mann, der mich nach Deutschland holt, der gut verdient und mir alles bieten kann. Stimmt ja auch, aber um welchen Preis? Wenn die wüssten. Noch einmal tappte ich zurück ins Wohnzimmer und stellte mich ans Fenster. Der Teppichboden unter meinen Füßen beruhigte mich. Ich bin ihm ausgeliefert, dachte ich. Er ist jetzt meine Familie. Keiner wird mir zu Hilfe kommen, wenn er mich schlecht behandelt, ich würde nicht einmal
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