Loewenmutter
bat die Mutter den Vater, und er hörte tatsächlich auf sie und ließ mich da. Eine Nacht im Krankenhaus, wo ich stundenlang neben meiner Mutter sitzen und zusehen durfte, wie sie mein kleines Geschwisterchen stillte. Sogar bei ihr im Bett schlafen durfte ich.
Als Abdullah am nächsten Tag auftauchte, war unser Sohn längst gebadet und schlief friedlich im Kinderzimmer. Man hatte es ihm gezeigt, bevor er zu mir kam. Er hat es sogar aus seinem Bettchen gehoben und ist stolz damit ins Schwesternzimmer marschiert. Mir sagte er nichts davon, als er endlich vor mir stand. Aber er strahlte, sogar einen kleinen Blumenstrauß hatte er mitgebracht. »Mara«, sagte er nur, »Frau, das hast du gut gemacht.« Und dass er Kleider und Toilettensachen für mich dabeihabe. Nacheinander packte er die Dinge aus einer kleinen Tasche aus. Ich sah zu, wie er alles ordentlich in den Schrank räumte. Säfte und Obst stellte er auf den Nachttisch.
»Bist du einverstanden damit, dass das Kind Amin heißt?«, fragte ich. »Ja, natürlich«, sagte er, »dein Vater hat es so bestimmt.« – »Gut.« – »Bist du zufrieden?«, fragte er trotzdem. Ich wusste nicht, was er damit meinte, nickte aber. »Bon, dann fahren wir im August nach Tunesien.« – »Ist das nicht zu heiß für ein Baby?« Ich war erschöpft. Vielleicht wollte er mir mit dieser Ankündigung sogar eine Freude machen, aber im Moment interessierte es mich nicht, ob wir nach Tunesien fahren würden oder nicht. Nicht jetzt. Wir sind dann auch nicht gefahren. Stumm zog ich mir die Decke über den Kopf und drehte mich zur Wand, mit dem Rücken zu Abdullah. Ich weinte. »Wir haben einen Sohn, und du heulst schon wieder?« – »Weil ich an meine Mutter denke.« – »Sie hat sich über jedes ihrer Kinder gefreut, sonst hätte sie nicht so viele geboren.« Ich habe meinem Mann nicht gesagt, dass es anders war und dass meine Ummi nach jedem Kind noch depressiver wurde.
Er war nicht lange da, zehn Minuten vielleicht, wir hatten uns nichts zu sagen. Ich wollte schlafen.
4.
»Wie eine Gefangene«
Eine Holzwiege mit Himmel und Sternenvorhängen. Abdullah hatte sie besorgt und ins Kinderzimmer gestellt. Ich ließ sie stehen, wo sie stand, mitten im Raum. Außer leeren Koffern und einem auf dem Boden aufgestapelten Berg von Hemdchen, Tüchern und Mützchen war das Zimmer immer noch leer. Mein Lieblingszimmer, trotzdem war Amin dort allein. Er hat viel geschlafen zu Anfang, und ich habe dauernd nach ihm gesehen. Schläft er? Atmet er noch? Ist das Kind nicht hungrig? In der Nacht bin ich aufgeschreckt, ich konnte es nicht glauben, dass er nicht mehr in meinem Bauch ist. Spürte ihn bei mir, aber er war nicht da, ich suchte ihn überall.
Ich liebte Amin über alles und konnte es doch nicht zeigen. Nicht einmal mir selbst. Darüber weinte ich jede Nacht. Ich weiß nicht, wo ich meine Liebe und Zuneigung begraben hatte. Weiß nur, dass ich mich selbst um meine Gefühle betrog. Ich schob die Wiege nicht in unser gemeinsames Schlafzimmer. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, Amin je mit in unser Bett genommen zu haben. Nicht einmal, wenn er weinte. Ich rannte dann sofort zu ihm, stellte mich auf Zehenspitzen ans Fußende seines Bettchens und schaukelte ihn, aber herausgenommen oder herumgetragen habe ich ihn selten.
Da lag er, eingewickelt in Flügelhemdchen, Strampelanzug und Mütze, wie man es mir im Krankenhaus beigebracht hatte. Stundenlang stand ich an seinem Bett und beobachtete ihn, wie er schluchzte, wie seine Lippen zitterten und ihm die Augen zufielen. Wie sich seine Brust hob und senkte, wie sich seine Augen unter den Lidern bewegten und wie er versuchte, sich die kleinen Fäustchen in den Mund zu stecken.
Amin war da, aber das Leben ging weiter wie bisher. Ich war enttäuscht. Von mir und von dem Kind. Weil ich erwartet hatte, dass nun alles anders werden würde. Aber es geschah nichts, auch mit Kind blieb mein Leben trostlos. Wenn ich darüber nachdachte, spürte ich eine große Leere in mir. Ich war traurig. Warum hatte ich so wenig Kontakt zu meinem Baby? Habe wenig mit ihm geschmust und es kaum gestreichelt. Vielleicht dachte ich, Amin ist noch zu klein, er braucht seinen Schlaf und soll seine Ruhe haben. Ich weiß nicht. Oder habe ich meine Gefühle verdrängt, weil es mir nicht gut ging und das Kind, wie alle anderen auch, unter unwürdigen Umständen gezeugt wurde?
Nach drei Wochen hatte ich keine Milch mehr, um meinen Sohn zu stillen. Ich mochte auch nicht mehr,
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