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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Um ihr Leiden weniger zu spüren, hat sie ihre Gefühle ausgeknipst. Vor vielen Jahren habe ich ihr Vorwürfe deswegen gemacht. Jetzt weiß ich, dass sie nicht anders konnte.
    Die Tage mit Amin vergingen, die Nächte auch. Zunächst lebte ich weiter wie gewohnt. Abdullah schlug mich, ich war allein mit dem Kind. Isoliert und traurig. Und je trauriger ich wurde, desto weiter weg rückte ich von meinem Sohn. Besuch bekamen wir nie. Zu Abdullahs Freunden wollte ich nicht. Keiner sollte merken, wie schlecht es mir ging. Ich wollte mich nicht ausheulen. Es wäre besser gewesen, meinen Kummer jemandem anzuvertrauen, aber ich kannte niemanden.
    Mein einziger Kontakt war die Bäckersfrau. Eine lebensfrohe Frau mit Lachfältchen um die Augen. Ich muss ihr leidgetan haben. Oft klopfte sie nachmittags und brachte wie schon beim ersten Mal ein Tablett voll mit Gebäck und Kuchen oder eine Strampelhose für Amin. Aber sie blieb immer nur kurz. Es war uns beiden peinlich, dass wir nicht miteinander sprechen konnten. Manchmal deutete sie auf Gegenstände und sagte mir die deutschen Wörter vor: »Der Kuchen schmeckt gut« oder »Tasse« oder »Tisch«, »schönes Kleid«. Oft schwiegen wir auch. Das war schön, doch wenn es zu lange dauerte, sahen wir uns hilflos an, grinsten. Sie deutete dann zur Tür und schnippte mit den Fingern: Hoppla, ich bin spät dran und muss gehen, runter ins Geschäft, Brot verkaufen. Ich glaube, sie spürte, wie unglücklich ich war.
    Amin war gerade drei Monate alt, da wurde ich erneut schwanger. Ich begann mich zu kratzen, die Arme, der Kopf, die Beine, die Haut war trocken, ein Jucken überall. Etwas stimmte nicht. Ich wollte nicht, nicht schon wieder, das konnte nicht sein. Ich bildete mir ein, ich könnte die Augen schließen, schlafen und die Realität ausblenden. Mich taub stellen. Aber es ist schwierig einzuschlafen, wenn die Haut juckt. Abdullah fuhr mich wieder zur gynäkologischen Untersuchung. Ohne seine Freunde diesmal. Zum Schluss diskutierte er wieder mit der Ärztin und schwieg mir gegenüber. Ich ahnte, dass ich schwanger war, wollte aber nichts davon wissen.
    Wollte nicht wissen, was ich ahnte. Als wir Tage später, wir hatten bei Aldi eingekauft, der Bäckersfrau im Flur begegneten, unterhielt sich Abdullah mit ihr. Sie schaute mich mitleidig an und drückte mir die Hand, so als mache sie sich Sorgen. In der Wohnung frage ich Abdullah: »Was hast du ihr erzählt, dass sie mich so traurig angesehen hat?« – »Du bist schwanger – nichts weiter. Darüber haben wir gesprochen. Hättest du dir doch denken können.« Da fing ich zum ersten Mal nach Monaten an zu heulen. Ich ging in die Hocke, lehnte mich gegen die Wand, die Tränen liefen mir übers Gesicht. »Nein, ich will nicht, bitte nicht.« Mein Mann zuckte mit den Achseln: »Wie stellst du dich bloß wieder an? Statt dich zu freuen, heulst du wie ein Hund. Ist ein Wunder, dass du überhaupt schwanger wirst. So wenig wie wir miteinander schlafen. Wozu bist du denn hier? Ich will Kinder, deshalb und nur deshalb habe ich dich geheiratet.« Dass ich jetzt kein Kind wollte, nicht mit diesem Mann, das war Nebensache.
    Wieder stand ich stundenlang vor dem Fenster, die Gardinen halb zugezogen, starrte gedankenverloren hinaus: Wenn ich als Jugendliche über meine Zukunft nachgedacht hatte, hatte ich mir immer drei Kinder gewünscht, zwei Jungs und ein Mädchen. Wäre das zweite Kind ein Mädchen, würde ich ihm die Haare wachsen lassen und sie nicht zu Zöpfen flechten wie in Tunesien, sondern offen lassen, offen und lang, wie sie die Mädchen in Deutschland trugen. Sie waren so fröhlich, diese Kinder, die morgens und mittags an meinem Fenster vorbeizogen. Bald würden meine Kinder auch in die Schule gehen. Deutsch lernen. Und ich?
    Ich wollte raus. Durfte nicht. Fühlte mich eingesperrt. Einmal, Abdullah muss gute Laune gehabt haben, nahm er mich zu C&A mit, um Babykleidung einzukaufen. Es war wie im Paradies. Ich traute mich gar nicht, die Kleider anzufassen, so schön fand ich sie, die Farben und Stoffe. Mein Mann suchte einzelne Pullover und Strampelhosen heraus, lila, hellblau, hellgrün, aus weichem Nickistoff. Ich strich mit den Fingern darüber und bat ihn, sie vor das Kind zu halten, fragte: »Passt dies? Passt jenes?« Amin krähte und grapschte mit seinen Händchen danach. Doch da zog Abdullah die Kleider schon wieder weg und legte sie über seinen Arm. Nehmen wir. Er schlenderte um die Kleiderständer und schlenkerte sein

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