Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
Vom Netzwerk:
Zeit gespielt und waren glücklich zusammen. Ich auch. Karimahs Wohnung war größer als unsere, weniger feucht, sonnig. Wir kochten Tee aus frischer Minze, meine Freundin stellte ein niedriges rundes Tischen auf den Wohnzimmerfußboden, wir legten eine Decke drum herum. Mit einem langen Strahl von hoch oben, damit sich Schaum bildet, gossen wir den Tee in kleine Gläser. Dann setzten wir uns auf den Boden und tranken ihn sehr süß, wie zu Hause.
    Beide waren wir zwangsverheiratet worden mit einem Mann, den wir nicht kannten, beide nach Deutschland verfrachtet worden, ohne dass wir es wollten. Karimah und ich konnten gar nicht aufhören zu erzählen. Endlich sprechen, nicht mehr schweigen und alles hineinfressen – das war schon viel.
    Mit Abdullah konnte ich nie reden. Das hat mich stolz und trotzig gemacht. Aber mit Karimah lachte ich, lange hatte ich nicht so viel Spaß gehabt. Zum Schluss überlegten wir tatsächlich, wie wir unsere Ehemänner am besten verlassen könnten. Abhauen? Es war ein Witz, aber immerhin dachten wir darüber nach. Natürlich verabredeten wir uns für den nächsten Tag und auch für den übernächsten und für alle Tage auf dem Spielplatz. Karimah brachte etwas zu essen mit, ich habe etwas mitgebracht. Die Kinder spielten im Sand, und wir saßen da und redeten. Es war das schönste Frühjahr, der schönste Sommer und der schönste Herbst, den ich je erlebt habe. Meine ersten Schritte raus aus der Isolation.
    Abdullah erzählte ich zunächst nichts von meiner Freundin. Auch Karimah erzählte nichts. Ihr Mann arbeitete in der gleichen Firma wie mein Mann und wie viele andere ausländische Gastarbeiter. Wenn unsere Männer Frühschicht hatten, trafen wir uns vormittags, gingen einkaufen zu Penny. Wenn sie Spätschicht hatten, war es noch schöner. Kaum waren sie weg, waren wir draußen, auf dem Spielplatz oder in der Fußgängerzone von Harburg. Die war nicht weit, vielleicht 400 Meter von unserem Haus entfernt, aber ich war noch nie dort gewesen. Nun ging ich heimlich an den kleinen Geschäften aus Backstein vorbei, sah in die Schaufenster. Sah zum ersten Mal, dass es nicht nur Supermärkte gibt, sondern Läden, in denen nur Schuhe verkauft werden oder nur Fotoapparate oder Zeitschriften. Meine Freundin kannte sich aus, sie ging dort öfter shoppen. Nie hätte ich mich das getraut. Ganz abgesehen davon, dass Abdullah es mir nicht erlaubt und mir auch kein Geld dafür gegeben hätte.
    Geld hatte eigentlich auch Karimah nicht, doch sie war Meisterin im Sparen und im Geldverstecken. Das konnte sie gut. Wenn ihr Mann ihr 50 Mark Haushaltsgeld gab und meinte, das sei für eine Woche, dann hat sie es immer geteilt. Eine Hälfte für sich und die andere Hälfte für Kartoffeln und Brot. Sogar ein Sparbuch hat sie angelegt und über viele Jahre gespart, was sie nicht für Parfum und Süßigkeiten ausgab. Schade, das konnte ich nie. Abdullah ließ mir immer nur ein paar Pfennige da, für alltägliche Kleinigkeiten wie Fencheltee oder Eis für die Kinder. Das Geld, das ich hatte, gab ich sofort wieder aus. Klamotten und Schuhe durfte ich sowieso nicht alleine kaufen.
    Viele Monate später erwischte mich Abdullah mit meiner Freundin. Komischerweise hat er nicht viel dazu gesagt. Weil unsere Söhne sich angefreundet hatten und zusammen in den Kindergarten gehen wollten, sahen wir uns dann auch immer öfter mit der ganzen Familie. Die Männer kannten sich, sie übernahmen die Kindergarten-Anmeldung, wie sie alle Formalitäten übernahmen. Ich konnte noch immer kein Deutsch, Schreiben sowieso nicht. Aber ich war froh, dass ich Karimah hatte, bis heute bin ich froh. Sie hat mir ihre blauen Flecken gezeigt, und ich habe ihr meine gezeigt. Wir haben sogar drüber gelacht und unsere Männer zur Hölle gewünscht. Und wir haben unsere Kinder gesehen. Und wir wussten, die blauen Flecken haben nichts zu bedeuten. Für unsere Kinder könnten wir mehr ertragen.

    Bestimmt war mein Mann unzufrieden mit mir, es konnte gar nicht anders sein. Er hatte ein Anrecht auf mich, dem ich mich nicht entziehen durfte. So hatte ich es gelernt. Aber wie konnte ich mit ihm schlafen, wenn er mich ständig schlug? Das tat weh, verdammt weh, auch in der Seele. Doch anstatt Abdullah zu sagen: »Ich bin unglücklich mit dir«, sagte ich ihm: »Ich bin nicht glücklich in Deutschland.«
    Jasin war knapp zwei Jahre alt, als wir mit den Kindern zum ersten Mal nach Tunesien in Urlaub fuhren. Fast drei Jahre lang hatte ich meine Familie

Weitere Kostenlose Bücher