Loewenmutter
auf das sein Schwiegersohn monatlich Geld aus Deutschland überwies. »Es wird Zeit, dass du mit deinem Haus anfängst.« – »Hilfst du mir, Abdelhamid?« – »Ich habe Material und Handwerker bestellt. Sobald du einen Plan gemacht hast, fangen wir an.«
Mit mir wurde darüber nicht gesprochen. Hausbau war kein Frauenthema. Dafür die Heirat. Ich durfte mir Klagen über Mädchen anhören, die schwer unter die Haube zu bekommen waren. »Du hast es gut! Wir haben dir den allerbesten Mann besorgt. Jetzt musst du uns helfen. Kannst du uns nicht jemanden aus Deutschland schicken, der eine deiner Schwestern heiratet?« – »Das ist nicht einfach, ich kenne nicht viele Leute.« – »Ein unverheirateter Landsmann?« – »Fällt mir kein passender ein.« – »Oder einen Deutschen?« – »Weil ich ja so viele Deutsche kenne, die auf tunesische Mädchen stehen.« Ich war bitter, manchmal konnte ich sogar richtig arrogant werden. Wieso waren sie nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen? Hatten sie nichts Besseres zu tun, als auf den reichen Mann zu warten? Und dann auch noch hoffen, dass ich ihnen dabei helfe? Das machte mich wütend. Immer und überall sollte ich helfen, mit Geld und guten Ratschlägen, nur weil ich aus Deutschland kam.
Warum spekulierten diese Mädchen alle auf den reichen Bräutigam? Anstatt sich um eine gute Ausbildung zu kümmern. Aber was soll ich mich aufregen? Ich, die genau auf diesen reichen Ehemann aus dem Ausland hereingefallen war? Und jetzt, wo man dachte, es ginge mir gut, wollten alle von mir abhaben. Dass es mir überhaupt nicht gut ging, wollte keiner sehen. Und sagen konnte ich es auch nicht, dafür schämte ich mich zu sehr.
Von Deutschland kannte ich nicht mehr als eine Dreizimmerwohnung in Hamburg-Harburg und einen Mann, der mich wie einen Boxsack traktierte und über mich bestimmte wie über einen Kanarienvogel. Aber in Tunesien spielte ich die verständnisvolle Schwester, Tochter und Tante, die alles im Griff hat und sogar noch großzügig Geschenke verteilen kann. Ich war nicht mehr die kleine, kokette Esma, sondern der Gast aus Deutschland. Alle zerrten an mir. Einerseits nervte mich diese Rolle. Andererseits gefiel sie mir, ich genoss sie sogar. Meine Familie umwarb mich wie vor der Hochzeit die Männer. Und es schmeichelte mir, hoffiert zu werden, es tat mir gut und lenkte mich vom bösen Rest ab. Ich lachte, sagte meine Meinung, beglückwünschte und tröstete, je nach Bedarf. Ein schönes Gefühl, das mich für das, was ich in Wirklichkeit erlebte, ein wenig entschädigte. Oder ein schizophrenes Schauspiel, das mich hart machte.
Plötzlich hatte ich etwas zu sagen, nur weil ich im Ausland lebte. Dass ich dort nichts zu melden hatte, spornte mich noch mehr an, in der Familie meinen Mund aufzumachen. Je öfter ich das tat, desto mehr glaubte ich selbst daran, dass ich es wirklich geschafft hatte: Vielleicht bildete ich mir ja auch alles Schlimme nur ein? Vielleicht war das Leben mit Abdullah gar nicht die Hölle? Ich spielte, dass es mir gut geht, so wie es von mir erwartet wurde.
Abdullah lud die ganze Familie ein, zu seinen Brüdern und Schwestern in den Südosten Tunesiens zu fahren. Nicht weit vom Meer hatte seine Familie dort einen Bauernhof, Hunderte von Hektar groß, mit Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden. Die Familie war nicht arm, trotzdem war das Gehöft heruntergekommen. Es gab weder Strom noch fließendes Wasser, keine Dusche und keine Toilette, nicht einmal Matratzen für die Kinder. Keine Küche, nur Hütten für jeweils eine Familie. Ein ganzes Dorf voll mit Onkeln und Tanten. Außen herum war eine drei Meter hohe Mauer gezogen. Wie eine Burg. Dahinter ein verwahrlostes schmales Grundstück, vertrocknete Grasbüschel, einige betonierte Flecken, Müll lag herum. Es war heiß, Hochsommer, 40 Grad im Schatten. Wieder einmal fühlte ich mich wie eine Gefangene. Die Kinder auch, die barfuß zwischen Mauer und Hütten hin- und hersprangen. Sie quengelten, weil sie die Hitze nicht gewöhnt waren, und ich rief sie dauernd zurück ins Haus. Aber die Familie freute sich, dass der Onkel aus Deutschland gekommen war.
Der süßliche Blutgeruch von geschlachteten Schafen hing in der Luft, und überall saßen und lauerten die Fliegen. Obwohl ich mich in lange Kleider und Kopftücher gehüllt hatte, fuchtelte ich dauernd um mich, um sie abzuwehren. Wir waren noch nicht lange dort, da fing Jasin eines Morgens an, sich zu übergeben. Wahrscheinlich hatte er die
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