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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esma Abdelhamid
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Abdullah das Mittagessen. Selbst vergaß ich meistens zu essen.

Erste Schritte
    Es wurde Frühling, 1983, inzwischen war ich fast zweieinhalb Jahre in Hamburg, und ich kannte schon die Krokusse und Primeln, womit die Einfassungen der Bäume bepflanzt waren. »Salam«, grüßte ich sie wie lebendige Wesen. Es war an einem Nachmittag, der Tag war schon warm, als die Frau mit ihrem Sohn zum Spielplatz kam. Ich saß mit Jasin auf dem Schoß auf der Wippe. Obwohl mich die Sonne blendete, erkannte ich sie sofort. Sie war mir ein paar Monate zuvor beim Einkaufen im Penny-Markt aufgefallen. Sie in einem Gang zwischen Regalen, ich im anderen, am Ende standen wir uns gegenüber. Ihr Sohn saß im Kindersitz des Einkaufswagens und quengelte. Da hob sie ihn heraus, küsste ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr, sodass er lachte. Wie sie ihn so schnell beruhigen konnte, wunderte mich. Ich mit meinen beiden, Amin an der Hand, Jasin im Kinderwagen, hätte nicht die Geduld gehabt. Sie wirkte selbstbewusst und offen. Wir schauten einander an, fragend, ohne die Worte laut auszusprechen: »Na, bist du auch Tunesierin?« Beide waren wir unverschleiert.
    Wir hatten damals nicht miteinander gesprochen, aber auf dem Spielplatz erkannte ich sie sofort wieder. Die dicken roten Haare, ihr ungewöhnlich blasser Teint, die dunklen Augen. Ihr Sohn war ein spilleriger Junge, zart, mit langen Wimpern, aber ein Lausbub. Er musste ungefähr in Amins Alter sein. Schnurstracks rannte der nun auf meinen Sohn zu, boxte ihn, den Schüchternen, ein wenig, und schon rollten sie zusammen im Sand. Ein Grund, seine Mutter anzusprechen. Auf Arabisch: »Wir haben uns schon bei Penny gesehen.« – »Ja, ich erinnere mich.« – »Du sprichst ähnlich wie ich. Kommst du auch aus Tunesien?« – »Ja, aus dem Südwesten.« – »Ich auch, nicht weit von Sbeitla.« – »Dann sind wir ja Nachbarinnen. Ich bin Karimah.« – »Esma, Esmahene eigentlich, aber ich kürze den Namen ab, ist einfacher.« – »Und hübscher.« Sie lachte offen, und wenn sie lachte, legte sie in einer ungewöhnlichen Mischung aus Ironie und Ernst ihre Stirn in Falten. Das irritierte mich, gefiel mir aber.
    Ich war von der Wippe heruntergestiegen und kickte mit meinen Schuhspitzen den Sand auf dem Platz vor mir her. Wir setzten uns auf eine Bank. Im Nu waren wir mitten im Gespräch. Wo wir wohnen und wie lange wir schon hier in Deutschland sind und wie es uns hier geht und überhaupt – alles auf einmal. Einfach das Übliche, wann wir aufstehen, was wir kochen. Ich glaube, es vergingen Stunden. Es war, als ob wir uns schon ewig kannten. Noch nie habe ich mit jemandem so lange gesprochen. Es war wie eine Befreiung. Wir beklagten, dass wir so weit weg von der Familie wohnten, hier so gut wie alleine und traurig waren.
    »Seit wann bist du verheiratet?«, fragte ich Karimah. »Bald drei Jahre«, antwortete sie und wiegte den Kopf. »Uuuund?«, fragte ich und dehnte das U in die Länge, da ich nicht unbedingt eine Antwort erwartete. Ich schaute sie an. Karimah reckte den Kopf in die Höhe, sagte nichts, doch plötzlich schob sie mit den Händen die Ärmel ihrer rosa Bluse hoch. Nun sah sie mir direkt in die Augen. »Da, schau!« Sie heftete ihren Blick auf mich, sodass ich ihr nicht ausweichen konnte. Und ich sah die Blutergüsse auf ihren Oberarmen, rot, blau, gelb. »Scheiße«, sagte ich nur, nichts weiter, stand auf und legte das Baby, das ich die ganze Zeit auf dem Arm gehalten hatte und das nun eingeschlafen war, in den Kinderwagen. Dann krempelte ich meinerseits die Ärmel auf, ein wenig langsamer als sie, und verschränkte meine nackten Arme vor der Brust. Als Karimah meine blauen Flecken sah, legte sie ihre Stirn in Falten, einen kurzen Moment nur und brach dann in lautes Gelächter aus.
    Es war zu komisch: zwei Frauen, die sich auf dem Kinderspielplatz ihre blauen Flecken zeigten. Aber ich verstand sie nicht sofort. Was hatte sie? Lachte sie mich aus? Ich brauchte eine Weile, dann lachte ich mit. Es war das befreiende Lachen von Schicksalsgenossinnen. Wir kicksten und glucksten. Die blauen Flecken machten uns zu Blutsschwestern, sie waren unser Geheimnis. Plötzlich hatte ich eine Verbündete: Karimah. Mit ihr teilte ich meine Schmerzen. Nie zuvor hatte ich jemanden so nah kennengelernt. Karimah gehörte zu mir, wir gehörten uns, sie war meine Freundin, mein Mann kannte sie nicht. »Komm mit zu mir«, sagte sie, »ich zeig dir, wo ich wohne.«
    Unsere beiden Söhne hatten die ganze

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