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Loewinnenherz

Loewinnenherz

Titel: Loewinnenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Senguel Obinger
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Heimat ein Haus bauen zu können, das jedermann vor Neid erblassen ließ. In diesem Haus würde man dann wohnen und sich von allen anderen, die es nicht geschafft hatten, bis ans Lebensende bewundern lassen.
    Mein Vater arbeitete auf dem Bau und war ein disziplinierter und fleißiger Mensch, der sieben Tage die Woche schuftete. Der einzige Luxus, den er sich gönnte, waren seine Autos, von denen er immer mehrere gleichzeitig besaß. Sein Heiligtum war der Mercedes-Benz, von dem er sich jedes Jahr das neueste Modell holte, der nur freitags oder samstags gefahren wurde und ansonsten, vor allem bei Regen, in der Garage stand. Zu Hause war mein Vater meist liebenswürdig und friedfertig, da hatte meine Mutter das Sagen, und mein Vater gehorchte ihr blind. Ich habe nie erlebt, dass mein Vater mich aus eigenem Antrieb kontrollierte oder gar schlug. Oft fühlte ich, dass mein Vater mit mir litt, sich aber nicht gegen meine Mutter stellen wollte oder konnte. Außerhalb jedoch war mein Vater dafür bekannt, dass er sich nichts gefallen ließ und durchaus gewalttätig werden konnte. Schuftete er unter der Woche am Bau, so verdiente er sich am Wochenende noch gutes Geld dazu. Denn er wusste genau, wann und wo Sperrmüll abgeholt wurde, und fuhr mit seinem weißen Transit dorthin, um sich die besten Stücke herauszupicken. Am Wochenende verkaufte er die Antiquitäten dann |21| auf Flohmärkten weiter. Und bei diesen Gelegenheiten gab es immer irgendwo Streit.
    Hatte mein Vater den Eindruck, jemand wollte ihn übers Ohr hauen oder ihn womöglich in seiner Ehre kränken, verwandelte er sich in einen gefürchteten Gegner. Sogar während seiner Pilgerreise nach Mekka, die er nach jenem Traum mit dem Propheten antrat, geriet er in eine Schlägerei, die solche Ausmaße annahm, dass das türkische Fernsehen darüber berichtete.
    „Bestimmt ist Vater da mittendrin“, sagten wir, und zu unserer Belustigung erschienen tatsächlich gleich darauf Bilder, die meinen Vater zeigten, wie er sich wacker schlug.
    Es gehörte für uns einfach dazu, dass der Vater immer wieder in eine Prügelei verwickelt war. Kein Wunder also, dass sich mein Vater immer wieder vor Gericht verantworten musste, manchmal als Zeuge, meist aber als Angeklagter. Für uns war das nichts Besonderes, und meine Mutter behandelte ihn ohnehin wie einen Helden. Jedes Mal musste ich ihn begleiten, weil ich die Einzige in der Familie war, die – Schwester Marlies sei Dank – richtig deutsch sprechen konnte. So kam es, dass ich von klein auf vor Gericht die Dolmetscherin meines Vaters war. Eines Tages, ich war neun Jahre alt, sah ich mit eigenen Augen, zu welcher Brutalität mein Vater fähig war.
    Im Nachbarhaus wohnte ein Türke namens Ugur mit seiner Frau Fatma. Die beiden hatten keine Kinder und waren berufstätig, Ugur arbeitete im Schichtdienst und musste deshalb oft tagsüber schlafen. Und damit begann die ganze Sache. Denn immer wenn wir mit den Nachbarskindern draußen im Hof oder auf der Straße spielten, riss Ugur sein Fenster auf und brüllte heraus: „Könnt ihr nicht leise sein? Wie soll ich da schlafen! Verschwindet, oder ich komm raus und verpass euch eine ordentliche Tracht Prügel!“
    Ugur war ein kräftiger Mann mit dichtem Bart, er war unberechenbar, und wir Kinder fürchteten uns vor ihm. Wenn er uns wieder einmal anschrie und bedrohte, dann liefen wir weinend nach Hause. Meiner Mutter aber war das gar nicht recht, sie wollte |22| uns aus der Wohnung haben, damit sie ihre Hausarbeit in Ruhe erledigen konnte. Ungeduldig jagte sie uns wieder hinaus.
    „Aber wir haben solche Angst vor Ugur!“, erklärten wir ihr eines Tages, „der hat gesagt, er verprügelt uns, wenn wir nicht verschwinden.“
    Da wurde es meiner Mutter zu bunt. Sie ging hinaus und stellte den Nachbarn zur Rede. „Wenn du meinen Kindern noch einmal Angst einjagst“, schrie sie, „dann erzähle ich es meinem Mann.“
    Ugur lachte sie nur aus.
    „Ich scheiß auf deinen Mann und deine Kinder, du Nutte“, sagte er und ließ meine Mutter einfach stehen.
    „Du wirst was erleben!“
    Ihre Stimme überschlug sich fast vor Wut. Doch Ugur war bereits im Haus verschwunden.
    Noch am selben Abend erzählte sie meinem Vater, was passiert war. Der ließ sofort sein Essen stehen und ging in den Garten, von wo aus es nur drei Schritte bis zum Küchenfenster der Nachbarn waren. Natürlich rannten wir ihm alle hinterher, das konnten wir uns nicht entgehen lassen. Mein Vater klopfte ans

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