Lohse, Eckart
zu einem merklichen
Einschnitt. Der gerade ins Amt gekommene grüne Außenminister Joschka Fischer
muss dafür aber die denkbar dickste Keule herausholen und den Satz »Nie wieder
Auschwitz« aussprechen, um eine Beteiligung Deutschlands am Einsatz der
Bundeswehr in Bosnien in seiner friedensbewegten Partei, aber auch in großen
Teilen der deutschen Öffentlichkeit durchzusetzen. Und Bundeskanzler Gerhard
Schröder stellt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die
Vertrauensfrage, um im Bundestag eine eigene Mehrheit für den Einsatz der
Bundeswehr in Afghanistan zu erzwingen.
Über den Sinn dieses Einsatzes
wird seither gestritten. Allerdings mehr unter den Fachleuten in der Politik
als in der Öffentlichkeit. Selbst die radikale Aussage des ehemaligen
Verteidigungsministers Peter Struck »Deutschlands Sicherheit wird auch am
Hindukusch verteidigt« führt nicht zu einer wirklich breiten und kontroversen
Debatte darüber, was die Bundeswehr in Zukunft leisten soll und welche Opfer
die Deutschen dafür zu bringen bereit sind. Das militärische Engagement
Deutschlands in Afghanistan wird von vielen zunächst als eine Art bewaffnete
Entwicklungshilfe gesehen, bei dem es um das Bohren von Brunnen, den Bau von
Mädchenschulen und die Einrichtung demokratischer Institutionen geht.
Deutschland macht sich lange Illusionen darüber, was in dem zerstörten Land
überhaupt erreicht werden kann.
Dabei sind, als Guttenberg
Verteidigungsminister wird, schon fast 40 Soldaten
in Afghanistan ums Leben gekommen. Offiziell wird aber weiter nur vom »Stabilisierungseinsatz«
gesprochen. Guttenberg macht sofort klar, dass er mit diesem Sprachgebrauch
brechen will. Am 3. November 2009, also wenige
Tage nach seinem Amtsantritt, erscheint in der »Bild«-Zeitung das erste
Interview mit dem neuen Verteidigungsminister - und das ist spektakulär.
Guttenberg ändert zwar nicht die Strategie des Bundeswehreinsatzes in
Afghanistan, aber er verwendet eine völlig neue Begrifflichkeit: »In Teilen
Afghanistans gibt es fraglos kriegsähnliche Zustände«, sagt der neue Minister.
Nach einem kurzen Hinweis aufs Völkerrecht, demzufolge Krieg nur zwischen zwei
Staaten stattfinden könne, stellt er sich auf die Seite derjenigen, die solche
»notwendigen juristischen, akademischen oder semantischen Feinsinnigkeiten«
nicht gelten lassen wollen: »Ich verstehe jeden Soldaten, der sagt: In
Afghanistan ist Krieg, egal, ob ich nun von ausländischen Streitkräften oder
von Taliban-Terroristen angegriffen, verwundet oder getötet werde.«
Das sitzt. Bis zum Schluss seiner
Zeit als Verteidigungsminister hatte sich Guttenbergs Vorgänger im Amt, Franz
Josef Jung, gegen die Vokabel »Krieg« gewehrt. »Kampfeinsatz«, dazu hatte sich
der Minister angesichts der Gefechte der Bundeswehr in Afghanistan nach
einigem Zögern bewegen lassen. Aber »Krieg«? So weit, dieses Wort
auszusprechen, geht Jung nicht, ganz gleich, was er im Innersten denken mag.
Auch die Bombardierung zweier von den Taliban entführter Tanklaster bei Kundus
im September 2009 auf Befehl des deutschen Oberst
Klein ändert trotz der hohen Opferzahl daran nichts. Die erste Stellungnahme
eines Sprechers des Verteidigungsministeriums, am Vormittag des 4. September 2009 vor der
Bundespressekonferenz in Berlin abgegeben, liegt voll auf der alten Linie. Man
bleibe bei der bisherigen Aussage: »Wir sagen immer: Es handelt sich in
Afghanistan um einen Stabilisierungseinsatz, zugegeben einen recht robusten Stabilisierungseinsatz,
der auch Kampfhandlungen mit einschließt.« Auf die Nachfrage, ob denn immerhin
das, was in Kundus stattfinde, Krieg sei, ist die Antwort ebenso eindeutig:
»Nein.«
Guttenberg, mit einem sicheren
Instinkt für Stimmungen ausgestattet, weiß zwar, dass es der Öffentlichkeit
eher gleichgültig ist, wie die Politik das Treiben der Bundeswehr am
Hindukusch nennt, weil grundsätzlich der Begriff vom »freundlichen
Desinteresse« der Bevölkerung an der Bundeswehr zutrifft, wie ihn der einstige
Bundespräsident Horst Köhler prägte. Aber er weiß auch, dass es grundsätzlich
gut ankommt, wenn ein Politiker klare Worte spricht. Und wenn deutsche Soldaten
immer öfter im Kampf getötet werden und selbst töten müssen, dann leuchtet
einer nur flüchtig mit sicherheitspolitischen Themen befassten Öffentlichkeit
der Begriff »Krieg« oder »kriegsähnliche Zustände« mehr ein als »Stabilisierungseinsatz«.
Das gilt umso mehr, als von Stabilisierung in Afghanistan
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