Lokalderby
Jahr gemeinsam mit Katinka und Hannah besucht hatte.
Wohl der eigentliche Grund dafür, warum Bäcker diesen Treffpunkt gewählt hatte, war die Nähe zum Stadion. Als Paul ihn, wie verabredet, an der Jochensteinstraße, einem reinen Wohngebiet, traf, legte dieser auch gleich los: »Hier haben wir Ruhe vorm Verkehrslärm des Rings«, meinte der schlanke Mittdreißiger mit der markanten Bogennase und der blonden Tolle. »Kaum vorstellbar, dass der 1. FCN hier ein halbes Jahrhundert lang seine größten Erfolge gefeiert hat.« Nachdem sich Paul suchend umgesehen hatte, streckte Bäcker seine Hand aus und wies mit dem Zeigefinger die Richtung. »Da hinten war der Alte Zabo, ein Sportpark, Vorläufer des heutigen Stadions. Nach den meistens gewonnenen Spielen ging in diesen Straßen die Post ab.«
»Warum hatte man das alte Stadion denn mitten in Zabo gebaut?«, erkundigte sich Paul, während beide Männer in Richtung Hauptstraße schlenderten.
»Die Spielstätte in Schweinau platzte aus allen Nähten, das wurde schon um 1910 deutlich. 1913 also der Umzug nach Zabo, denn hier gab es ein Gut, das zum Verkauf stand und ausreichend Platz bot. Hinzu kam: In Nürnberg wurde bei Fußballspielen die sogenannte Lustbarkeitssteuer fällig, im seinerzeit noch unabhängigen Zabo aber nicht.«
»Wie viele Zuschauer haben denn reingepasst in den Alten Zabo?«
»Ungefähr 8.000. Nachdem der Club in den Zwanzigerjahren aber so richtig abgeräumt hat und einer der erfolgreichsten Vereine der Weimarer Republik wurde, hat man erweitert. Zuletzt auf 25.000. Im Zweiten Weltkrieg fiel eine Bombe auf die Haupttribüne, aber bis 1950 war alles wieder ganz, und es hatten danach sogar 35.000 Gäste Platz.«
Paul suchte nach Resten des Alten Zabo, wurde aber nicht fündig. Bäcker erklärte:
»Die Haupttribüne des Alten Zabo ist 1966 gesprengt worden. Der Club baute am Valznerweiher sein neues Trainingsgelände, 1963 fand zum Bundesligastart der Umzug ins › Städtische Stadion ‹ statt. Und an der Jochensteinstraße spuckten sich die Maurer in die Hände: Fast 1.000 neue Wohnungen sind dort entstanden, wo der FCN seine ruhmreichen Jahre feierte.«
Bäcker erhöhte das Tempo. Bald verließen sie den historischen Kern des Stadtteils und steuerten auf das Club-Gelände zu, das Paul erst kürzlich besucht hatte. Während sie gingen, schlug Bäcker einen anderen Tonfall an, als er fragte: »Jetzt mal ganz ehrlich: Warum wollen Sie mich wirklich sprechen? Sie arbeiten für Blohfeld, stimmt’s?«
Paul erschrak. Er hob und senkte die Schultern, abwartend, was als Nächstes passieren würde.
Bäcker lächelte wissend. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Blohfelds Zeitung versorgt mich immer mal wieder mit Insidertipps und Archivtexten. Es ist schön, wenn ich mich heute revanchieren kann.«
Paul atmete auf. Denn die ihm nachgesagte Nähe zu dem Boulevardreporter wirkte sich selten so positiv aus. Er ließ keine weitere Zeit verstreichen, sondern brachte sein eigentliches Anliegen vor, wobei er auch die Sportwetten ansprach, an denen Buggi womöglich beteiligt gewesen war.
Bäcker hörte interessiert zu, nickte gelegentlich, stellte dann aber klar: »Ich halte nicht viel von der Theorie. Warum sollte ausgerechnet der Busfahrer die zentrale Figur in einem Wettskandal sein?«
»Nicht die zentrale Figur, womöglich nur ein Mitläufer«, schränkte Paul ein.
»Warum wurde dann gerade er ermordet und nicht ein anderer? Es stimmt also doch, was man munkelt: Buggi starb keines natürlichen Todes. Blohfeld, der alte Fuchs, wittert einen Mord, oder?«
Paul ging nicht direkt auf die Frage ein: »Vielleicht hat Buggi zu viel gewusst über die Beteiligten und wollte sie erpressen.«
»Welche Akteure sollen denn im Spiel gewesen sein? Haben Sie Namen?«
Paul sah sich in Zugzwang und gab eine halbgare Vermutung preis: »Dirk Sakowsky zum Beispiel. Man hört ja einiges über seinen Lebenswandel und nicht eben vorbildlichen Charakter.«
Bäcker lachte auf. Nicht gehässig, eher belustigt. »Nicht schlecht, Herr Flemming. Da haben Sie gleich ins Schwarze getroffen. Wenn ich jemanden nennen sollte, dem ich solche Sachen Zutrauen würde, dann wäre das Sakowsky. – Aber das sage ich ganz im Vertrauen. Offiziell würden Sie das nie von mir hören.«
Paul freute sich über die Bestätigung, brauchte nun aber mehr Stoff zum Unterfüttern seiner Theorie. »Was hätte ein Klassespieler wie Sakowsky denn davon, sich auf so etwas
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