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Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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sich mit den meisten Hochzeiten verbanden. Und den klagenden Tönen der Flöte, die die Melodie vorgab. Eine Melodie, die sich anfühlte wie aus einer anderen Welt.
    Die Juden wussten alle, was sie zu tun hatten. Sie bildeten zwei Kreise, einen für die Männer und einen für die Frauen. Sie fassten einander an den Händen und begannen, in großen Kreisen um die Braut und den Bräutigam herumzutanzen. Die Gäste traten abwechselnd in die Kreismitte, um mit der Braut oder dem Bräutigam zu tanzen.
    Die Juden forderten die Nicht-Juden zum Mitmachen auf. Manche folgten der Aufforderung. Die Eltern des Bräutigams blieben am Brauttisch sitzen und lächelten steif. »Es ist ein jüdischer Tanz«, rief Edek, als er an Lolas neuen Schwiegereltern vorbeitanzte.
    Der Tanz dauerte lange. So kam es Lola jedenfalls vor. Sie hatte diesen Tanz noch nie richtig beherrscht. Auch wenn es reichte, sich seitwärts zu bewegen, um sich durchzumogeln. Sie schaute zu ihrem Vater. Er kannte alle Schritte. Obwohl er ein bisschen rundlich war, oder, wie Renia es ausdrück
te, »ein Dickerchen«, war Edek sehr leichtfüßig. Er flog im Kreis herum.
    Luba Lipschitz und Martin Schenkel und Fay Feldman saßen zusammengesunken an ihrem Tisch, schwerfällig und schweigend. Ihre Eltern, die da tanzten, waren allesamt Überlebende der Vernichtungslager. Einige andere Gäste waren Überlebende der Arbeitslager oder hatten sich während des Krieges versteckt gehalten. Australien hatte die höchste Pro-Kopf-Rate von Überlebenden des Holocaust außerhalb Israels. Die Kinder waren die Überlebenden ihrer Eltern. Nicht wenige von ihnen waren die Opfer von Vernachlässigung bei gleichzeitiger übermäßiger Wachsamkeit. Sie hatten Eltern, denen es sofort auffiel, wenn sie ein Pfund zunahmen oder sich die Haare falsch frisierten, aber nicht, wenn sie traurig, verwirrt, einsam oder ängstlich waren. Ihnen fiel nicht auf, wenn sie die Schule schwänzten, Geld klauten oder irgendein anderes der vielen Symptome eines gestörten Kindes zeigten.
    Der Raum, der den meisten Eltern für das tägliche Leben ihrer Kinder zur Verfügung stand, wurde von der Vergangenheit eingenommen. Lola sah es an ihrer Mutter. Ihre Mutter hörte sie nicht. Normalerweise musste Lola alles drei- oder viermal sagen, und selbst dann war es nicht sicher, dass sie eine Antwort bekam. Wann immer Lola in ihrer Nähe war, beschäftigte ihre Mutter sich mit anderen Dingen. Hängte Wäsche auf. Räumte das Geschirr weg. Wenn Lola Renia eine Frage stellte, schien Renia sofort etwas Dringendes oder unnötig Kompliziertes zu erledigen zu haben. Beispielsweise stellte Renia manchmal zwei Küchenstühle aufeinander und kletterte, mit der Küchenbank als Trittbrett, hinauf, um etwas aus einem sehr hohen Küchenschrank zu holen. Dabei handelte es sich um eine derart prekäre Balanceübung, dass
Lola unweigerlich die Frage vergaß, die sie ihr hatte stellen wollen. Als Teenager demonstrierte Lola diesen Balanceakt einigen Schulfreundinnen. Sie musste Renia nur eine Frage stellen, irgendeine Frage, und schon wurden die beiden Stühle hervorgezerrt. Es würde viele Jahre dauern, bis Lola begriff, dass Renia Fragen gar nicht beantworten konnte. Dass Renia sich vor Fragen zu Tode fürchtete. Und vor den Antworten.
    Auch Edek hatte Schwierigkeiten zu hören, was Lola sagte. Er kam von der Arbeit nach Hause, aß etwas, dann machte er es sich in seinem Lehnstuhl bequem und vertiefte sich in einen seiner Krimis. Er schien kein Wort von dem zu hören, was Lola sagte, außer sie sprach mit sehr lauter Stimme, dann blickte er erschrocken auf.
    Wenn man Eltern hatte, die unfähig waren, in der Gegenwart ihres Kindes zu leben, wurde auch für einen selbst das Leben in der eigenen Gegenwart schwierig, fand Lola. Einmal gelang es Lola, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern auf sich zu ziehen. Als sie zehn war, wurde sie beim Ladendiebstahl ertappt. Renia und Edek reagierten sehr schlecht darauf. Renia wurde hysterisch und fragte Lola immer wieder, warum sie ihnen das antat. Und Edek war wütend. Renia knallte noch lauter mit den Türen und schepperte noch rabiater mit den Töpfen als sonst. Und Edek hörte auf, mit Lola zu sprechen, außer um sie in regelmäßigen Abständen wissen zu lassen, dass sie Glück gehabt habe, nicht im Gefängnis zu landen. Es dauerte Monate, bis sich alles wieder normalisiert hatte.
    Lola heiratete Mr. Ex-Rockstar, weil er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten. Außerdem war sie der Meinung, dass

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