Lola Bensky
warum sie dieses Buch geschrieben hatte. Sie hatte keine Ahnung von Privatdetektiven oder Privatdetekteien.
Sie hatte das Bedürfnis gehabt, etwas Längeres zu schreiben als einen langen Zeitschriftenartikel. Sie hatte etwas schreiben wollen, ohne bei dreitausend oder fünftausend Wörtern aufhören zu müssen. Doch warum sie sich entschieden hatte, ausgerechnet dieses Buch zu schreiben, war ihr ein Rätsel. Sie wusste sehr wenig über Kriminalliteratur, abgesehen davon, dass sie Zeuge gewesen war, wie Edek einen Kriminalroman nach dem anderen verschlang. Das ultraprivate Detektivbüro hatte Lola genauso überrascht wie sämtliche ihrer Bekannten.
Patrice Pritchard hatte das Buch für einen relativ kleinen Vorschuss gekauft. Inzwischen hatte es sich bereits mehr als hunderttausend Mal verkauft. Lola hatte keine Ahnung, wer es kaufte. Wahrscheinlich Leute, die genauso wenig über Kriminalromane wussten wie sie.
Edek gefiel Das ultraprivate Detektivbüro nicht. »In dem Buch passiert nichts«, sagte er. Lola stimmte ihm zu. Es gab keine Morde und keine Erpressung. Edek mochte Morde und Erpressungen. Je mehr Mörder und Erpresser pro Kapitel, desto besser gefiel Edek das Buch.
Die Detektive des ultraprivaten Detektivbüros konzentrierten sich auf eher alltägliche Probleme. Die zweiundfünfzigjährige Ehefrau, die jeden Mittwochmorgen verschwand. Der Geschäftspartner, der anfing, sich die Haare zu färben und auf Rollerskates zur Arbeit zu kommen, und das Jahrzehnte nachdem alle anderen mit Rollerskates unterwegs gewesen waren. Oder der Ehemann, der an drei Abenden in der Woche zu spät, verquollen und keuchend vor Allergien nach Hause kam, an den anderen vier Abenden dagegen pünktlich und unversehrt.
Die Detektive des ultraprivaten Detektivbüros machten zudem gute Geschäfte mit Scheidungsrecherchen. Sie spürten
für ihre Klienten die Scheidungsakten eventueller neuer Partner auf. Scheidungsakten vermochten eine Menge über den Menschen auszusagen, den man zu heiraten in Betracht zog. Streitereien und Vorwürfe zum Thema Geld waren überaus aufschlussreich, ebenso wie bestimmte Details wie lautes Kauen, Zähneknirschen und exzessive Flatulenz. Die Detektei durchforschte die Scheidungsakten zudem nach Belegen für Drogenkonsum, Alkoholismus, Kindesmissbrauch oder Missbrauch des Ehepartners, was meistens auf verprügelte Ehefrauen hinauslief. Scheidungsakten enthielten eine ganze Lawine an Informationen.
Das ultraprivate Detektivbüro beschäftigte zwei jüdische Privatdetektive, Harry und Schlomo. Beide lebten in permanenter Sorge wegen des Wetters. Im Fernsehapparat im Hinterzimmer des Detektivbüros im East Village lief ununterbrochen der Wetterkanal. Mehrmals täglich stürzte der eine oder der andere der beiden jüdischen Detektive alarmiert aus dem Hinterzimmer, weil für irgendeinen Landesteil Hurricans, Tornados oder heftige Gewitter prognostiziert wurden.
Schlomo trug ungeachtet der Jahreszeit stets einen großen Regenschirm bei sich. Es war schwieriger, jemanden unauffällig zu beschatten, wenn man während einer Hitzewelle einen großen Regenschirm bei sich hatte, doch Schlomo und sein Schirm waren unzertrennlich. Außerdem war Schlomo gläubiger Jude. Er trug einen abgewetzten, ungewollt glänzenden schwarzen Anzug, einen schwarzen Hut und lange schwarze Schläfenlocken, die ihm bis zum Kinn reichten.
Wie viele andere chassidische Juden und viele Chinesen fuhr er wie ein Wahnsinniger. Er ignorierte sämtliche Parkverbote und Verkehrsregeln. Er wendete unvermittelt über durchgezogene doppelte Linien, fuhr in falscher Richtung
durch Einbahnstraßen und fuchtelte mit einem Arm wild aus dem Fenster seines zerbeulten Lieferwagens, um andere Fahrer auf seine Manöver aufmerksam zu machen. Die Warnungen waren nicht nur völlig unverständlich, sie kamen auch zu spät, nämlich meist erst dann, wenn der andere Autofahrer ausscherte, um dem plötzlich entgegenkommenden Verkehr auszuweichen, oder wenn er mit Schlomo und seinem Lieferwagen zusammenstieß.
In seiner Alltagskleidung war Schlomo perfekt getarnt. Niemand kam je auf den Verdacht, er werde von einem derangierten, ängstlichen orthodoxen Juden mittleren Alters mit schiefsitzendem Hut und übermäßig langen schwarzen Schläfenlocken beschattet. Schlomo hatte eigenhändig eine Firmenadresse auf die Seite seines Lieferwagens gepinselt: Brooklyn Academy Supplies. 68 Front Street, Brooklyn. Telephone 718-678-6786.
»Niemand findet jemand
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