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Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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hatte immer wieder neue Statistiken parat.
    Für Überwachungen oder andere Formen des Außendienstes war Harry indessen prinzipiell ungeeignet. Er fühlte sich in Gesellschaft unwohl. Er bekam häufig den Mund nicht auf und brauchte extrem lange, um eine Frage zu beantworten. Er war spindeldürr. Und ständig hungrig. Er war nicht in der Lage, ein Telefon zu manipulieren oder anzuzapfen. Doch vor einem Computerbildschirm verwandelte Harry sich in einen anderen Menschen. Seine Finger flogen nur so über die Tastatur, und er bewegte seine Maus mit der Kunstfertigkeit eines Konzertpianisten und der Geschwindigkeit eines Autorennfahrers.
    Harry konnte Donuts, Bagels mit Frischkäse, Hotdogs und Sandwiches mit Eiersalat essen, ohne seine Arbeit zu unterbrechen oder seine Konzentration zu verlieren. Bei allem, was er vertilgte, blieb Harry dünn. Schlomo versuchte ständig abzunehmen, damit er sich leichter in schmale Nischen drücken könnte. Als Schlomo Harry zum ersten Mal gesehen hatte, war er hocherfreut gewesen. Er hatte geglaubt, dass Harry die Verfolgungsjagden und alles andere, wofür man laufen musste, übernehmen könnte. Doch obwohl er spindeldürr war, war Harry kein guter Läufer. Zum Glück übernahm das ultraprivate Detektivbüro nicht allzu viele Fälle, zu deren Aufklärung viel gelaufen werden musste.
    Lola hatte den Eindruck, dass Juden im Allgemeinen nicht dazu geschaffen waren, gute Läufer zu sein. Jedenfalls gab es bei Olympischen Spielen nicht gerade ein Überangebot an erfolgreichen jüdischen Leichtathleten. Wenn Juden, egal welchen Formats, versuchten, ihren Körper in Bewegung zu versetzen, kollidierte alles mit allem und resultierte in
einem unkoordinierten, ungelenken Durcheinander aus Ellbogen, Knien, Armen, Beinen, Hüften und Bäuchen.
    Lola sah Patrice Pritchard an. Sie waren im Balthazar, der ewig angesagten Brasserie auf der Spring Street in SoHo. Wäre die Szene Teil der Handlung ihres Romans gewesen, dann hätte Lola Patrice abgelenkt, entweder durch einen Kellner, der eine Wasserkaraffe umstieß, oder dadurch, dass sich der Mann am Nachbartisch übergab. So aber konnte sie nichts tun. Sie musste weiter Patrice Pritchard zuhören, die inzwischen bei dem Thema angelangt war, dass Lola nicht nur einen Ehemann hatte, der sie anbetete, sondern auch noch einen ehemaligen Ehemann.
    »Ich dachte immer, zwei Ehen seien ein Zeichen des Scheiterns«, sagte Lola.
    »Mein Gott, nein«, sagte Patrice. »Es bedeutet, dass du zweimal erfolgreich warst.«
    Lola wurde allmählich ein wenig schwindlig. Sie fragte sich, ob es ihr gelingen würde, sich heimlich eine halbe Inderal in den Mund zu schieben, ohne dass Patrice es bemerkte. Inderal war ein Betablocker, der würde ihren hämmernden Herzschlag beruhigen und den Schwindel mindern.
    Lola bewahrte die Tabletten in einem kleinen, durchsichtigen Plastikbehälter auf, den sie immer in der Tasche trug. Ihr wurde klar, dass es unmöglich wäre, nach der Tablette zu tasten, ohne Patrices Aufmerksamkeit zu erregen. Ohnehin war es erst elf Uhr morgens, und so früh am Tag wollte sie noch keine Tabletten schlucken. Sie wollte überhaupt keine Tabletten schlucken. Sie hatte das Inderal für Notfälle bei sich. Sie hatte gerade drei oder vier Jahre voller Notfälle hinter sich und konnte noch nicht ganz glauben, dass sie offenbar vorbei waren.
    Die Panikattacken, die sie vor Jahren erlebt hatte, waren
mit Macht zurückgekehrt. Zwei Jahre lang wurden sie von Agoraphobie begleitet. Eine Agoraphobie wurde definiert als extreme oder irrationale Angst mit Paniksymptomen, insbesondere auf großen freien Flächen, in einer dichten Menschenmenge oder unter unkontrollierten sozialen Umständen. Lola hatte Einkaufszentren, Parks, Kaufhäuser und Konzertsäle gemieden. In Manhattan hatte sie die schmalsten Straßen gewählt, die sie finden konnte, um sich fortzubewegen; die großen Avenues hatte sie, soweit das möglich war, umgangen. Wenn sie sie nicht umgehen konnte, überquerte sie sie im Laufschritt.
    Wenn sie unterwegs Bekannten begegnete, konnte sie nicht stehen bleiben und sie begrüßen. Sie konnte sich nicht stehend mit jemandem unterhalten, ohne dass ihr schwindlig wurde und sie das Gefühl hatte, jeden Moment umzukippen. Im Stehen zu reden war unmöglich geworden. Um sich mit jemandem zu unterhalten, musste sie sich setzen. Folglich waren Cocktailpartys, die sie früher lediglich als ermüdend empfunden hatte, jetzt vollkommen unerträglich. Mehrere Male

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