Lola Bensky
in seiner Person. Eric Burdon war klein und untersetzt und hatte Tiefe, fand Lola. Er sang »Paint it Black« von den Rolling Stones
auf eine Weise, dass man das Gefühl hatte, von der Schwärze umgeben zu sein, in den Schmerz einzutauchen. Lola sah zu Brian Jones hinüber. Er klatschte wie verrückt.
Simon & Garfunkel betraten die Bühne. Sie sahen jung und unschuldig aus. Vielleicht lag es an ihrer ordentlichen, frischen Erscheinung und der Lieblichkeit ihrer Musik, dachte Lola. Sie sangen »Homeward Bound«. Lola versuchte, nicht darüber nachzudenken, warum sie in ein paar Monaten nach Hause zurückkehren würde, nach Australien, und auch nicht darüber, was der zukünftige Mr. Ex-Rockstar wohl gerade tat.
Es war schon halb zwei, als der Abend zu Ende ging. Die Menschen zogen zu dem Campinggelände in der Nähe des Footballstadions am Monterey Peninsula College, das ganz in der Nähe lag. Überall lagen Schlafsäcke. Der Duft von Marihuana lag in der Luft.
Lola kehrte in ihr Motelzimmer zurück, das nicht weit von dem Festivalpark entfernt lag. Ein paar Leute, meist Musiker, standen vor dem Motel herum, redeten, tranken und rauchten. Lola ging geradewegs in ihr Zimmer. Sie hatte Glück gehabt, ein Zimmer zu finden. Sie hatte gehört, dass jedes Motel und jedes Hotel im Umkreis einer halben Stunde vom Festivalpark ausgebucht war.
In dem Zimmer stand ein Doppelbett. Lola hatte noch nie in einem Doppelbett geschlafen. Sie untersuchte am Kopfende ein paar Knöpfe und stellte fest, dass sie das Bett für zehn Cent zehn Minuten lang vibrieren lassen konnte. Amerika, dachte Lola, war einfach anders. Hier gab es fettfreies Eis, Abteilungen für mollige Teenager und vibrierende Betten. Sie steckte zehn Cent in den Schlitz und legte sich hin. Das Bett begann zu rumpeln und zu beben. Es gefiel Lola nicht. Ihr wurde übel. Sie musste aufstehen und warten, bis
das Bett aufhörte zu vibrieren, ehe sie sich wieder hinsetzen konnte.
In dieser Nacht träumte sie von einer Frau, die sehr, sehr langsam ging. Die Frau war in mehrere Schichten ausgefranster Lumpen gehüllt. Die Sachen waren so zerrissen, dass sie aussahen, als hätten sie dreckige Zierfransen. Die Frau wirkte, als wäre sie hypnotisiert worden oder stünde unter Drogen. Doch Lola wusste, dass die Frau benommen war. Benommen vor Hunger und Erschütterung. Sie hatte kurzes dunkelbraunes Haar und große braune Augen. Lola konnte erkennen, dass die Frau einmal sehr hübsch gewesen sein musste. Die Frau blieb kurz stehen. Sie versuchte, Lola etwas zu sagen, doch die Worte purzelten ihr ungeordnet und wirr aus dem Mund, und es gelang Lola nicht, die Satzfetzen und den Buchstabensalat zu einem Ganzen zusammenzufügen. Die Frau ging weiter. Sie ging an einem ausgemergelten Kind vorbei, das in einem Hauseingang kauerte. Lola versuchte, den kleinen Jungen auf den Arm zu nehmen, doch er löste sich in ihren Armen auf wie Konfetti. Die Frau war weitergegangen. Lola versuchte, sie einzuholen, doch es gelang ihr nicht. Jedes Mal, wenn Lola ihr nahe kam, schien sich die Frau ein paar Schritte jenseits ihrer Reichweite zu befinden.
Lola wachte schweißüberströmt auf. Sie sah sich um. Sie befand sich in Monterey, Kalifornien, in einem Doppelbett, das für zehn Cent zehn Minuten lang vibrierte. Es gab keine kurzhaarige, dunkeläugige Frau und keinen kleinen, bis auf die Knochen abgemagerten Jungen. Lola stellte sich unter die Dusche. Sie musste diesen Traum von sich abwaschen. Es fühlte sich an, als klebte er noch immer auf ihrer Haut.
Jahrzehnte später würde Lola wie erstarrt sein, als sie in einen Dokumentarfilm dieselbe Frau sah, mit ihrem lang
samen, gespenstischen Gang und ihrem erschütterten, benommenen Gesicht. In dem Film, der im Warschauer Ghetto gedreht wurde, ging sie eine verdreckte, mit Menschen überfüllte Straße entlang, an einem kleinen, hohlwangigen Jungen vorbei, der in einem Hauseingang hockte. Lola würde die darauffolgenden Nächte nicht schlafen können, weil sie nicht begriff, wie man von Menschen träumen konnte, die man noch nie gesehen hatte.
Lola stand im Bad ihres Motelzimmers in Monterey über zwanzig Minuten unter der Dusche, bis sie das Gefühl hatte, den Traum von sich abgewaschen zu haben. Sie zog sich an und ging direkt zum Festivalgelände. Mama Cass saß fast an derselben Stelle wie gestern. Zwei Sitze weiter war ein Platz frei. Sie sagte hallo zu Mama Cass und quetschte sich an ihr vorbei.
Lola wusste, dass Mama Cass als Ellen
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