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Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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Naomi Cohen zur Welt gekommen war. Mit dem Namen Ellen Naomi Cohen konnte man nur jüdisch sein. Lola überlegte, ob sie Mama Cass erzählen sollte, dass sie ebenfalls jüdisch war. Sie entschied sich dagegen. Für amerikanische Juden war es keine große Sache, anderen Juden zu begegnen. Sie behandelten einen nicht, als wäre man verwandt oder ein alter Freund. Dass man ebenfalls Jude war, schien beinahe nebensächlich. In Melbourne war das anders. In Melbourne war es eine große Sache. Man wurde an die Brust gedrückt. Wenn man unter dreißig war, kniffen einem alle in die Wange, kommentierten Aussehen und Gewicht, und falls man Single war, wurde der Wert auf dem Heiratsmarkt abgeschätzt. Wenn zwei Juden einander begegneten, bestand sofort eine Verbindung. Eine Verbindung, die Lola in Melbourne manchmal einschränkend fand, hier in Amerika jedoch vermisste. Lola beschloss, sich Mama Cass auf alle Fälle vorzustellen. Als sie
ihren Namen nannte, betonte sie das Wort Bensky , doch Mama Cass' freundlicher Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
    Lola hörte mit halbem Ohr Canned Heat zu. Sie fand die Band nicht besonders spannend und befand, dass die Leser von Rock-Out auch ohne einen Bericht über Canned Heat leben konnten. Lola wartete auf Janis Joplins Auftritt. Sie hoffte sehr, dass Janis Joplin ihre Sache gut machen würde. Sie wusste, Janis Joplin würde sich ansonsten miserabel fühlen. Canned Heat beendeten ihren Auftritt.
    Ein paar Helfer bauten die Bühne um, und dann stand da plötzlich Janis Joplin mit Big Brother and the Holding Company. Janis Joplin trug Jeans und ein Top. Sie wirkte authentisch und schnörkellos. Es dauerte keine Minute, dann hatte sie mit dem Fuß aufgestampft und das Kommando über die Bühne übernommen. Zu dem Zeitpunkt, als »Ball and Chain«
kam, war zu spüren, dass Janis Joplin jeden Einzelnen der siebentausend Zuhörer in ihren Bann gezogen hatte. Kaum jemand rührte sich.
    Janis Joplin begann den Song sehr langsam. Sie sang davon, am Fenster zu sitzen und einfach in den Regen hinauszuschauen. Nach einer Minute ergoss sich ihre Seele aus jeder Note. Sie schüttelte den Kopf und stampfte mit dem Fuß, halb sang sie, halb weinte sie, mit geschlossenen Augen und verzerrtem, entstelltem Gesicht schrie sie: »Tell me why love is like a ball and chain«.
    Das Leid in ihrem Gesicht und ihrer Stimme, als sie später im Song das Wort »pain« in die Länge zog, war beinahe schmerzhaft anzuschauen. Lola sah, dass Janis Joplin verloren war, vollkommen aufgegangen in ihren Wunden und Kränkungen und in ihrem Schmerz. Die tiefen Risse und Abgründe ihres Herzens waren beinahe mit Händen zu greifen.
Lola wusste nicht, wie Janis Joplin aus dieser Versenkung jemals wieder auftauchen sollte.
    Lola sah zu Mama Cass hinüber. Mama Cass saß da und staunte mit offenem Mund. »Wow«, sagte sie immer wieder. Als Janis Joplins letzte Note verklang, explodierte das Publikum im Applaus. Zögernd begann Janis Joplin zu lächeln. Sie sah glücklich aus. Sie verbeugte sich und ging von der Bühne. Auf halbem Weg hüpfte sie plötzlich und sprang. An diesem Samstagnachmittag war es, als wäre in der Arena ein Feuer entzündet worden.
    Später an diesem Tag trafen sie sich zufällig. Janis Joplin rannte auf Lola zu. »War ich gut? War ich gut?«, fragte sie.
    »Du warst fantastisch«, sagte Lola. Lola wusste, dass ihr eine Menge Leute schon das Gleiche gesagt haben mussten, doch Janis Joplin sah trotz ihres Enthusiasmus so aus, als könne sie nicht ganz glauben, was passiert war. »Sie haben uns gefragt, ob wir morgen noch einmal spielen«, sagte Janis Joplin. »Ist das nicht groovy?« Plötzlich griff sie sich an den Kopf. »O Gott, was soll ich bloß anziehen?«, sagte sie und sah dabei ganz ängstlich aus. Lola wünschte sich, sie könnte etwas Traumhaftes herbeizaubern, das Janis Joplin anziehen konnte.
    Lola hatte sich früher häufig vorgestellt, dass sie Renia schöne Kleider nähte: exzellent geschnittene Kostüme und Abendkleider mit Spitze und Lurexeffekten. In ihrem Kopf entwarf und schneiderte Lola Kleidung für jede Jahreszeit. Shorts und Tops und Baumwollkleider für den Sommer, Cocktailkleider für formalere Anlässe, und Kostüme und Röcke, wenn Renia in die Stadt ging. In Wirklichkeit konnte Lola nicht einmal einen Knopf annähen, doch diese Schneiderfantasien waren für sie so tröstlich wie ihre Tagträume über Autounfälle. In diesen Fantasien glühte Renia vor Aufre
gung über all

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