Lola Bensky
ein zweites Mal festgenommen werden. Ihre Festnahme wegen Ladendiebstahls mit zehn Jahren war kein Spaziergang gewesen. Lola glaubte nicht, dass Renia und Edek die Nachricht von einer neuerlichen Festnahme besser aufnehmen würden als beim vorigen Mal.
»Ich verspreche Ihnen, meinen Pass ab sofort überallhin mitzunehmen, Officer«, sagte sie. Von Edek, der ein ungeduldiger Autofahrer war und ständig wegen Geschwindigkeitsüberschreitung angehalten wurde, hatte sie gelernt, alle Polizisten mit Officer anzusprechen. »Es tut mir leid, Officer«, war immer das Erste, was Edek sagte. Häufig wiederholte er es mehrere Male. Polizisten um Entschuldigung zu bitten sei immer eine gute Sache, sagte Edek.
Auch Edek war schon einmal mit der Polizei aneinandergeraten. Und zwar mit der amerikanischen Militärpolizei,
kurz nach Kriegsende in Feldafing, nicht weit von München entfernt, in dem Lager für Displaced Persons, wo Edek und Renia noch immer in Baracken schliefen und verzweifelt versuchten, aus Deutschland wegzukommen. Edek hatte auf dem Schwarzmarkt ein paar kleine Geschäfte gemacht. Er hatte die Zigaretten- und Kaffeerationen vom Roten Kreuz gesammelt und versetzt, um für Renia ein wenig Butter zu kaufen. Als er von dem amerikanischen Militärpolizisten angehalten wurde, hatte er gerade für Renia ein Pfund Butter ergattert.
»Ich könnte Sie dafür festnehmen, dass Sie mehr Butter bei sich haben, als Ihre Ration es zulässt«, sagte der amerikanische Militärpolizist.
»Es tut mir sehr leid, Officer«, sagte Edek. Er wog noch immer kaum sechzig Kilo. Der amerikanische Militärpolizist grinste ihm ins Gesicht.
»Wenn Sie die Butter aufessen, lasse ich Sie laufen«, sagte er.
»Jetzt, Officer?«, fragte Edek.
»Ja, jetzt«, sagte er.
»Ja, Officer«, sagte Edek. Er aß das Pfund Butter. Danach hatte er eine Woche lang Bauchschmerzen und Durchfall.
»Es tut mir wirklich sehr leid, Officer«, sagte Lola zu dem Polizisten, der sie an die Seite gewinkt hatte. »Und vielen Dank, dass Sie mir die Situation erklärt haben.«
Der Cop nickte. »Vergessen Sie nicht, Sie sind hier in Amerika«, sagte er.
Lola fuhr langsam davon. Sie fuhr zum Ambassador Hotel, wo sie wohnte. Am Flughafen hatte sie in einem Hotelführer das Ambassador Hotel mit seinen fünfhundert Zimmern ausgewählt, weil es teuer war und sie mit ihrer zugegebenermaßen begrenzten Erfahrung glaubte, teure Hotels würden im
Gegensatz zu billigen keine Anzahlung verlangen. Lola hatte kein Geld. Oder, genauer gesagt, sie kam an das Geld, das sie besaß, nicht heran. Es war schon in London und New York schwierig gewesen, die Bank zu finden, auf die Rock-Out ihr Gehalt überwiesen hatte; in Los Angeles dagegen war es schlicht unmöglich. Hier konnte man ein Jahr lang durch die Gegend fahren, ohne die richtige Bank zu finden.
Lola war überwältigt gewesen, als sie das Ambassador Hotel zum ersten Mal gesehen hatte. Es war riesig und erstreckte sich über eine Fläche von achteinhalb Hektar am Wilshire Boulevard. Der Nachtclub des Hotels, The Cocoanut Grove, warb mit Entertainern wie Frank Sinatra, Barbra Streisand, Judy Garland, Louis Armstrong, Nat King Cole, Bing Crosby, Lena Horne, Little Richard, Liberace und Liza Minnelli. Marilyn Monroe hatte ihre Karriere als Klientin der Modelagentur begonnen, deren Büros sich unmittelbar neben dem Swimmingpool des Ambassador Hotels befanden.
Diana Ross and the Supremes wohnten im gleichen Stockwerk des Hotels wie Lola. Sie traten im Cocoanut Grove auf. Lola war von der Schreibweise ›Cocoanut‹ irritiert. Es gab cocoa , und es gab nut . Aber keine cocoanut . Sie wusste, das Hotel befand sich im Besitz der Familie Schine. Das klang wie ein jüdischer Name. Lola fragte sich, ob die Schines Juden waren, die nicht richtig schreiben konnten. Das war, bevor sie herausfand, dass G. David Schine, der Direktor des Ambassador Hotels, der Sohn von J. Meyer Schine war und dass die Familie ihr Geld mit Kinos, Hotels und Immobilien verdiente. Lola vermutete, dass die Schines nicht so erfolgreich geworden wären, wenn sie nicht hätten richtig schreiben können.
Vor ein paar Stunden war Lola auf dem Flur vor ihrem Zimmer Diana Ross begegnet. Diana Ross war nicht nur be
törend schön, sie war auch sehr schlank und leichtfüßig. Es sah aus, als berührten ihre Füße beim Gehen in den hohen Stiletto-Absätzen kaum den Boden. Sie bewegte sich mit der Anmut und der Grazie einer Antilope. Lola kam sich neben ihr vor wie ein
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