Lola Bensky
gut. Ich fühle mich wohl, wenn Cass das übernimmt und John mit der Presse redet. Er macht das sehr gut.«
John machte das wirklich gut, dachte Lola. Er hatte für Lola Schritt für Schritt ihre Erfolge rekapituliert, Album für Album und Single für Single. Er hatte ihr auch erklärt, wie einzigartig sie als Gruppe waren und wie er Mama Cass beigebracht hatte, ihre Songs nicht zu schmettern, sondern ihre Stimme mit der von Michelle »verschmelzen, verschmelzen, verschmelzen« zu lassen.
Michelle Phillips schien mit sich selbst im Reinen zu sein. Sie bewegte sich mit der Gelassenheit eines Menschen, der sich mit seinen Armen, seiner Brust, seinen Beckenknochen und Füßen wohl fühlte. Als Michelle John Phillips kennenlernte, war er verheiratet und hatte zwei Kinder. Er ließ sich von seiner Frau scheiden und heiratete die achtzehnjährige Michelle. Lola fragte sich, wie Michelle es schaffte, strahlend und ausgeglichen zu wirken, obwohl sie ihre Mutter verloren hatte und nacheinander bei vier Stiefmüttern an einem halben Dutzend verschiedener Orte aufgewachsen war.
Mama Cass biss in ihren Apfel. Lola war überrascht, dass Mama Cass sich selbst einen Apfel mitgebracht hatte. Obwohl sie darüber eigentlich nicht hätte überrascht sein sollen. Lola verstand die Notwendigkeit sicherzustellen, dass man das richtige Essen bei sich hatte, wenn man eine Diät machte. Und vielleicht hatten Michelle und John Phillips nicht viel Obst im Haus. Lola sah nirgendwo welches. Renia hatte stets Obst im Haus. Auch als sie noch sehr arm gewesen waren. Es stand stets eine Schale mit Äpfeln, Orangen, Mandarinen und Bananen auf dem Tisch. Und, wenn es die richtige Jahreszeit war, eine Schale Kirschen. Für Renia waren Früchte ein Symbol des Wohlstands. In Renias Verständnis konnte man nicht verhungern, solange man sich eine Schale Obst leisten konnte.
John und Michelle Phillips hatten andere Wohlstandssymbole. Die Autos, das Limoges-Porzellan, das Muranoglas und die Drogen. Im Wohnzimmer stand ein geöffnetes Kästchen mit einem Sortiment verschiedener Pillen. Es war platziert wie eine Schale mit Nüssen oder Süßigkeiten, aus der sich die Gäste bedienen konnten. John hatte Lola davon angeboten. Er hatte nicht erklärt, um was genau es sich handel
te. Vielleicht, dachte Lola, wurde einfach vorausgesetzt, dass man wusste, was alle nahmen, und deshalb auch kannte, was angeboten wurde.
»Nein, danke«, sagte sie zu John Phillips. »Ich bin für meine Eltern ohnehin schon eine Enttäuschung, weil ich nicht Rechtsanwältin bin und dick. Ich glaube, es würde sie umbringen, wenn ich anfinge, Drogen zu nehmen.«
»Das ist süß«, sagte John Phillips. Lola wusste nicht, was daran süß war. Dass sie eine Enttäuschung war oder dass es ihre Eltern umbringen würde.
»Außerdem verliere ich ungern die Kontrolle«, fügte sie hinzu.
»Es geht ja nicht darum, die Kontrolle zu verlieren«, sagte John Phillips. »Sondern darum, das Blickfeld zu erweitern, das man kontrolliert.«
»Ich mache eine Diät«, sagte Mama Cass zu Lola.
»Ich wünschte, die Leute würden nicht so viel Aufhebens um Cass' Körperumfang machen«, sagte Michelle. »In jedem Artikel, der über uns geschrieben wird, wird Cass' Umfang erwähnt.«
»Wenn die Leute mich beschreiben, heißt es nicht, dass ich gescheit bin, was stimmt, sondern dass ich dick bin«, sagte Mama Cass. »Und jeder erwähnt Michelles Aussehen.«
»Vielleicht gehört das bei einer Frau einfach dazu«, sagte Lola. »Männer können dünn, klein, dick oder voller Akne sein, und es spielt offenbar keine Rolle. Darüber wird nicht berichtet.«
»Das stimmt und wird wahrscheinlich immer so sein«, sagte Mama Cass.
»Ich wünschte, die Leute würden sich auf Cass' Stimme konzentrieren«, sagte Michelle.
»Vielleicht tun sie das, wenn ich abgenommen habe«, sagte
Mama Cass. »Ich habe beschlossen, dass ich abnehmen werde, jetzt, wo ich Mutter geworden bin.«
Mama Cass hatte ein paar Monate vor dem Monterey International Pop Festival eine Tochter geboren. Außer Mama Cass wusste niemand, wer der Vater war. »Ich war überrascht, als ich feststellte, dass ich schwanger war«, sagte Mama Cass. »Man hatte mir gesagt, bei meinem Gewicht sei die Chance, schwanger zu werden, ziemlich mager.« Sie lachte. »Meine Chance, schwanger zu werden, war das einzig Magere an mir. Als der Arzt mir sagte, dass es unwahrscheinlich sei, dass ich noch einmal schwanger werden würde, wusste ich auf der Stelle, dass
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