London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
in der West End Lane stehen. Sie gingen schweigend nach Kilburn. Ein feiner Nieselregen hing in der Luft. In der Dunkelheit heulten Sirenen auf und verklangen wieder. Mit dem halbherzigen Interesse von Polizisten, die schon Dienstschluss hatten, wandten die beiden ihre Köpfe in Richtung des Geräuschs. Nach und nach wurden sie klitschnass. Sie gingen sich nicht mit Small Talk auf die Nerven.
Der Inspector wohnte in einem niedrigen Eckreihenhaus aus rotem Backstein. Im Flur standen ein Fahrrad und ein Strohkorb voller Männerschuhe. Das Haus roch nach modrigem Stoff und Frittenfett. Er führte Belsey ins Wohnzimmer und zeigte auf ein durchgesessenes Sofa. Ein alter Fernseher stand in der Ecke, und überall lagen Papierkram aus seinem Büro und Bücher über internationales Finanzwesen herum. Auf dem Boden stand eine kleine Lampe. Ridpath bückte sich und schaltete sie ein. Durch eine offene Tür sah Belsey eine Küche, die seit den Siebzigerjahren nicht mehr renoviert worden war. Im Spülbecken stapelte sich Geschirr, auf dem Küchentisch lag noch mehr Papierkram. Ridpath nahm ein Handtuch von einem Wäscheständer und rubbelte sich die Haare trocken. Dann öffnete er eine Kommode und nahm eine noch halb in Geschenkpapier eingewickelte Flasche Scotch heraus, die zwischen dem Geschirr stand. Während er in die Küche ging, um Gläser zu holen, warf Belsey einen Blick auf die Grußkarte, die an der Flasche hing. Von seinen Kollegen aus der Abteilung Specialist Crime. »Alles Gute, Philip.« Eigenmächti g , Blödsinn, dachte Belsey. Ridpath kam mit den Gläsern, schenkte ihnen ein und ließ sich in einem Lehnstuhl nieder, in den er tief einsank.
»Ich habe mir lange den Kopf darüber zerbrochen, was an Devereux so besonders war«, sagte Ridpath. »Bis ich erkannte, dass es das Geheimnisvolle an sich war. Das hat er verkauft. Soweit bekannt, existieren keine Fotos von ihm. Einmal hat er in Moskau für fünf Minuten eine Party besucht. Seine Bodyguards haben bis zwei Uhr morgens keinen der Gäste gehen lassen, bis sie alle Kameras und Handys überprüft hatten. Das Geheimnisvolle. Deshalb bekommt man ihn nie zu Gesicht. Er nennt das die letzte Ressource. Wenn alles Öl aufgebraucht ist, haben wir immer noch unsere Geheimnisse.«
»Und was machen wir mit denen?«
»Ich weiß es nicht.«
Belsey musterte Ridpath. Er dachte an Männer, die zu viel Zeit haben. Der Teufel besorgt ihnen schon Arbeit, aber anscheinend tun das die Engel der Gerechtigkeit auch. Was waren Ridpaths Geheimnisse? Sie tranken. Ridpath verzog das Gesicht.
»Nehmen Sie normalerweise Eis?«
»Haben Sie welches?«
»Nein.«
»Also dann, was soll’s?«
Ridpath trank wieder einen Schluck. Diesmal war er auf das Brennen vorbereitet. »Wissen Sie, was ein großer Forscher mal gesagt hat? In ein Abenteuer zu stolpern zeugt von Inkompetenz.«
»Das Gefühl kenne ich.«
»Devereux hätte niemals diese Welle der Gewalt ausgelöst. Gewalt ist ein Armutszeugnis für einen Verbrecher, hat er mir damals gesagt. Mord ist das Zeichen für totales Versagen.«
»Das hat er gesagt?«
»Das war eine seiner Maximen. Er war anders.«
Sie tranken ihre Gläser aus und saßen eine Zeit lang schweigend da. In der Flasche war noch reichlich Whisky. Aber Ridpath war nicht entspannt. Verkrampft umklammerte er sein Glas. Belsey dachte an den Devereux, den Ridpath ihm geschildert hatte, und verglich ihn mit dem Devereux, dessen Leben er in den vergangenen Tagen kennengelernt hatte.
»Ich glaube, er ist zum Betrüger geworden«, sagte Belsey. »Er hat Menschen beschissen. Irgendwas ist falsch gelaufen, und er ist aus dem Schlamassel nicht mehr rausgekommen. Deshalb musste er dran glauben.«
Belsey verspürte ein vages Schuldgefühl, weil er an Ridpaths Fantasiebild von dem Mann kratzte. Wenn jemand dein Leben ruiniert hat, ist es für das Opfer wichtig, dass es diesen Jemand respektiert, dass es das Gefühl hat, es hatte einen Wert, was er zerstört hat.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Ridpath.
»Ich glaube, dieses London-Projekt war ein Schwindel.«
»Warum?«
»Haben Sie in seinem Haus die Berge von Katalogen ge-sehen?«
»Ja.«
»Was halten Sie davon?«
Ridpath tat so, als dächte er ausgiebig darüber nach, aber er war ein zu guter Detective, um die Antwort nicht zu kennen.
»Jemand baut eine Fassade auf, um die Illusion zu erzeugen, das Haus sei bewohnt.«
»Genau das habe ich gemeint.«
»Aber es war er.«
»Dann hat er seinen Lebensstil
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