London NW: Roman (German Edition)
Jamaikaner – die Neue von oben, Gloria oder wie die heißt, die hat immer noch keine Vorhänge. Zwei Kinder, kein Mann, aber Sozialleistungen. Ich bin verheiratet, wo sind meine Sozialleistungen? Wenn ich Kinder habe, das habe ich immer gewusst, das habe ich immer gesagt zu mir: Ich bleibe bei diese Frau, die ich liebe, die ich so sehr liebe, ich bleibe für immer bei ihr. Komm her. Unterm Strich ist es doch so: Ich habe das nie gewollt, einfach nur auf meine Lohbeeren liegen und Almosen nehmen, das hat mich nie interessiert. Ich bin Afrikaner. Ich habe eine Bestimmung. Ich liebe dich, und ich liebe den Weg, den wir zusammen gehen! Ich komme immer näher zu meine Bestimmung, ich denke an die nächste Leistung, den nächsten Schritt, ich will höher hinauf, damit wir, damit wir alle beide, den nächsten ...
– Lorbeeren.
– Was?
– Es heißt Lorbeeren. Und man liegt nicht drauf, man ruht sich darauf aus. Liegen tut man auf der faulen Haut.
– Du hörst mir gar nicht zu.
Stimmt: Sie denkt an Äpfel.
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Anderswo in London gibt es Großraumbüros / komplett verglaste / Synergie-Brutstätten / wireless / spiegelblank. Der Glaube an die Macht einer Tischtennisplatte hält sich dort hartnäckig. Hier ist nicht anderswo. Hier sind die Büros kastig eng viktorianisch modrig. Fünf Leute teilen sich eins, der Teppich ist verschlissen, der Locher stets unauffindbar.
– eingehendes Geld. Frage: Wie konnte es so weit kommen, ohne dass jemand eingreift? Das würde mich wirklich interessieren. Selbstkontrolle, Kinder! Wenn ihr nämlich so weitermacht, dann liefert ihr uns gewissermaßen alle ans Messer, mich eingeschlossen. Und als Nächstes heißt es dann: Rationalisierungsmaßnahmen. Und damit ist dann nicht gemeint, den Teebeutel zweimal zu verwenden. Dann geht es um eure Stelle und um meine. Und genau so
Hier werden die falschen Lottotipps einer ganzen Nation in eine Art Allgemeinwohl verwandelt: Spielgruppen nach der Schule, Übersetzungsdienstleistungen, Unkrautjäten für ältere Mitbürger, Handarbeiten für Strafgefangene. Fünf Frauen arbeiten hier, Rücken an Rücken. Weiter den Flur entlang gibt es angeblich auch einen Mann – Leah hat ihn nie zu Gesicht bekommen. Diese Arbeit erfordert Einfühlungsvermögen und zieht folglich Frauen an, denn Frauen sind das einfühlsame Geschlecht. So die Meinung von Adina George, der Teamleiterin, die jetzt redet, die gar nicht mehr aufhört zu reden. Adinas Mund öffnet und schließt sich.
Ehemalige Gefängniswärterin, Sozialarbeiterin, Gemeinderatsmitglied. Wie hat sie mit diesen Krallen eigentlich irgendwas hingekriegt? Lang und gebogen und in den jamaikanischen Nationalfarben lackiert. Damit hat sie sich mühsam nach oben gekrallt. Alteingesessen. Misstrauisch gegenüber allen, die, wie Leah, ihre Stellung ihrem Abschluss verdanken. Für Adina ist ein Universitätsabschluss wie ein Bungee-Seil, das einen in halsbrecherischem Tempo hinein- und wieder hinausbefördert. Du bist ja eh nicht lange hier. Weißt du, ich gebe dir lieber keine Projekte, nachher bist du nicht mehr da, um sie abzuschließen ...
Sechs Jahre sind vergangen: So etwas wird ihr jetzt nicht mehr gesagt. Heute, als Adina sie wieder als »die Akademikerin« bezeichnet hat, ging es Leah durch den Kopf, dass keiner – weder die Einrichtung, die ihn verliehen hat, noch die Kommilitonen und erst recht nicht der Arbeitsmarkt – eine höhere Meinung vom Wert ihres Titels hat als Adina.
– ist für einen reibungslosen Ablauf essenziell. Klar geht es bei der Entscheidungsfindung um die Zuordenbarkeit und auch um Einfühlungsvermögen, klar, und um den persönlichen Draht, aber dann auch wieder um Breitenwirkung und Sichtbarkeit im Sinne der Kosteneffektivität, die wir nur über einen Prozess der Belegführung zureichend abbilden können. Belege – Belege – Belege! Im aktuellen Klima müssen wir da päpstlicher sein als der Papst, damit ich, wenn ich als Teamleiterin von den oberen Etagen einbestellt werde, dann auch sagen kann: aber sicher, alles belegbar. Hier haben Sie X , Y und Z , alles belegbar. Das ist ja wohl keine Quantenphysik, meine Damen.
Frage: Was ist aus ihren Studienkollegen geworden, den ganzen ehrgeizigen jungen Akademikern, fast alles Männer? Banker, Anwälte. Während Leah, der Joker von der staatlichen Schule, kein Latein, kein Griechisch, kein Mathe, keine Fremdsprache, es – nach den aktuellen Standards – schlecht getroffen hat und jetzt hier hockt auf ihrem
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