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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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in Kent und London ausbrach, wurde grausam niedergeschlagen.
    Auch den alten Silversleeves gab es nicht mehr. An einem regnerischen Aprilabend vor zwei Monaten war ein Kaufmann mit einem Schreiben für den alten Mann an seiner Pforte aufgetaucht. Eine Stunde später trat ein Diener neben seinen Herrn, der stocksteif auf einem Stuhl saß und so aussah, als lese er noch immer den Brief, der auf dem Tisch vor ihm lag: Silversleeves war tot. Der Chorherr von St. Paul's wurde mit allen Ehren in St. Lawrence-Silversleeves bestattet, und drei Tage später zogen Hilda und Henri in sein Haus. In den darauffolgenden Wochen entdeckte Hilda erstaunt das volle Ausmaß des Reichtums, der ihnen hinterlassen worden war.
    Im Reich herrschte Frieden, den Rufus' Herrschaft hatte sich gefestigt. Vor kurzem hatte er sich eine eigene große Halle neben der Abtei in Westminster errichten lassen. Er ließ auch die Festung am Ludgate verstärken. Und wenn Hilda vom Hof ihres Hauses hinaufblickte, konnte sie dort, wo in der schicksalsträchtigen Nacht die von den Sachsen errichtete St.Paul's-Kathedrale abgebrannt war, die Silhouetten einer großen, massiv aus Stein erbauten normannischen Kathedrale sehen. Bald sollte sie das gesamte Stadtbild prägen, so wie der Tower das Flußufer prägte.
    Doch immer, wenn sie an das große Feuer dachte, begann sie auch, über bestimmte Rätsel nachzugrübeln.
    In den verkohlten Überresten der alten Kathedrale hatte man Ralphs Talisman gefunden. Aber was hatte Ralph dort zu schaffen gehabt? Und wem hatten die geheimnisvollen Hände gehört, die sie zwei Stunden lang in jener Nacht festhielten, bevor sie sie ebenso überraschend nahe des Walbrook wieder freiließen?
    Da ihre Kinder inzwischen erwachsen waren, waren Hilda und ihr Mann abends oft allein, und schon seit langem war es ihnen zur Gewohnheit geworden, sich höflich zu ignorieren. Hilda beschäftigte sich wieder einmal leise mit einer Stickerei, Henri saß am Schachbrett seines Vaters und spielte eine Partie gegen sich selbst.
    An diesem Abend war Hilda ziemlich gereizt. Schuld daran, so dachte sie, war das Haus. Sie hatte sich nie wohl gefühlt in dieser strengen, steinernen Halle. Und so bedachte sie ihren Mann immer wieder mit einem mißbilligenden Blick, denn letztlich war ja er an allem schuld.
    Henri spürte dies, bemerkte jedoch nur ruhig: »Du solltest versuchen, deine Gedanken zu verbergen.«
    »Du hast doch keine Ahnung, was ich denke«, gab sie heftig zurück, widmete sich wieder ihrer Stickerei und fügte dann noch hinzu: »Du weißt überhaupt nichts von mir.«
    Henri wandte sich wieder seinem Schachspiel zu, bemerkte jedoch noch mit einem süffisanten Lächeln: »Du ahnst gar nicht, wieviel ich von dir weiß.«
    »Was denn zum Beispiel?« gab sie ihm sofort zurück.
    »Zum Beispiel, daß du Barnikels Geliebte warst. Und daß du ihm bei seinem Verrat geholfen hast. Erinnerst du dich noch an die Nacht des großen Feuers? Die Nacht davor hast du mit Barnikel verbracht.«
    Sie schnappte nach Luft. »Woher weißt du das?«
    »Ich habe dich verfolgen lassen«, bemerkte er ruhig. »Ich habe dich jahrelang verfolgen lassen.«
    »Warum?« Plötzlich fröstelte es sie.
    »Weil du meine Frau bist«, erwiderte er schulterzuckend, als ob dies alles erklären würde.
    Sie runzelte die Stirn. »Als es damals brannte, da packte mich plötzlich jemand…«
    »Natürlich. Ich dachte, daß du zu Barnikel wolltest. Das war zu riskant. Du hättest verhaftet werden können.« Er machte eine kleine Pause. »Außerdem hat alles bestens funktioniert. Du hättest es gar nicht besser machen können.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Es war nicht gut, daß Ralph heiraten wollte.«
    »Ralph? Er ist doch in St. Paul's gestorben.«
    »Das glaube ich nicht. Ich glaube, er hat deinen Freund Barnikel am Tower getroffen.« Henri lächelte. »Mein Vater pflegte früher beim Schachspiel oft zu bemerken, daß ich keine besonders gute Strategie habe, aber dafür eine um so bessere Taktik. Damit hatte er recht. Du, meine Liebe, hast mir die Gelegenheit dazu gegeben. Als du Barnikel warnen wolltest, kam mir der Gedanke, Barnikel von meinen eigenen Männern die Botschaft überbringen zu lassen, nachdem sie dich aufgehalten hatten. Einer meiner Leute machte sich also auf den Weg. Er sagte, du habest ihn geschickt, und er solle Ralph am Tower töten. Dies hat er dann wohl getan, denn Ralph verschwand in jener Nacht.« Henri seufzte. »Entweder würde Ralph deinen Liebhaber

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