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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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der Safe befand, halboffen stand. Auch der Safe war offen – und leer. »Der Schmuck!« rief er. Er wollte schon den Butler rufen, als er auf dem Schreibtisch seine Schlüssel sah. Daneben lag ein weißes Blatt Papier, auf das seine Schwester in ihrer großen, kindlichen Schrift nur drei Worte gekritzelt hatte: ICH BIN FORT. Mit einem Wutschrei verfluchte der Earl of St. James sie alle – Muriel, Nancy, Gorham Dogget und Barnikel. »Und zur Hölle auch mit dir!« schrie er. »Du verdammte Cutty Sark!«
    Es war nur gut, daß der Earl nicht beobachten konnte, wie Barnikel an diesem Abend zu seiner Frau Charlotte nach Camberwell zurückkam. Nachdem sie ihm etwas zu essen gemacht, ihm seinen Lieblingsgrog gebracht hatte und er sich behaglich am Kamin niederließ, bemerkte sie: »Es tut mir leid, daß es nicht besser gelaufen ist, aber es gibt einen Trost. Wir haben einen schönen Batzen Geld gemacht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich habe auf das Rennen gewettet. Das heißt, ich habe unseren Sohn für mich wetten lassen. Und zwar auf die Cutty Sark.«
    »Du wettest gegen deinen eigenen Gatten, Frau?«
    »Ich wußte, daß du nicht gewinnen konntest. Die Cutty Sark hat zu viele Segel. Wir haben tausend Pfund gewonnen!«
    Nach einer Pause fing Kapitän Barnikel an, in seinen Grog zu lachen. »Manchmal bist du so schlimm wie dein alter Herr!« gluckste er.
    »Sind Sie sicher, daß das Mädchen nichts weiß?« fragte Esther Silversleeves Lucy.
    »Nicht das geringste«, versicherte Lucy.
    »Dann sagen Sie Ihrer Enkelin, daß Sie mich über ein Stellenbüro gefunden haben«, ordnete Esther an. »Und Sie müssen ihr sagen, da mein Mädchenname zufällig derselbe ist wie ihrer, halte ich es nicht für passend, daß sie sich weiterhin Dogget nennt. Sie muß ihren Namen ändern. Sie soll sich Ducket nennen.«
    Lucy war damit vollkommen einverstanden. Mit erschreckender Heftigkeit erklärte Esther: »Wenn jemals irgendein Wort, irgendeine Anspielung auf meinen Vater oder auf die Vergangenheit von ihr kommt, werde ich sie zur selben Stunde auf die Straße setzen, und zwar ohne Zeugnis. Das sind meine Bedingungen.« Erst als Lucy getreulich versprach, sie werde sich daran halten, wurde Esther wieder weicher.
    So kam Jenny Ducket, wie sie nun genannt wurde, Anfang Februar 1890 zu Mrs. Silversleeves, um sich als Hausmädchen ausbilden zu lassen.
    Der Frühling 1890 hätte im Haushalt Edward und Mary Anne Bulls eine Zeit nie dagewesener Freude sein sollen. Ende März verkündete Edward eine atemberaubende Neuigkeit. »Der Earl of St. James verkauft seinen Besitz in Bocton in Kent«, teilte er der versammelten Familie beim Dinner mit. »Und ich kaufe ihn mit allem Drum und Dran! Er hat einen Wildpark und eine wunderbare Aussicht.« Er grinste seinen Sohn an. »Das sollte dir doch gut zupaß kommen, da du so ein Gentleman geworden bist.«
    »Uns auch!« riefen zwei seiner Töchter. Akzeptable junge Männer mochten Mädchen, deren Väter einen Landsitz besaßen. Nur Violet machte sich nicht die Mühe, mehr als vage zustimmend zu lächeln.
    In den letzten Wochen hatte Violet begonnen, zu Vorträgen zu gehen. Zuerst hatte ihre Mutter darauf bestanden, sie zu begleiten, doch nach drei oder vier langweiligen Nachmittagen in der Royal Academy oder einem Institut der Universität hatte sie es aufgegeben und dem Mädchen erlaubt, diese faden, aber respektablen Veranstaltungen allein zu besuchen.
    Eines Abends in der ersten Aprilwoche kam Violet in Mary Annes Zimmer und schloß die Tür hinter sich. »Mutter«, erklärte sie ruhig, »es gibt etwas, das du wissen solltest. Ich werde Colonel Meredith heiraten.« Sie besaß die Unverschämtheit zu lächeln.
    Zuerst verschlug es Mary Anne die Sprache. »Aber… das kannst du nicht!« stotterte sie schließlich. »Du bist nicht volljährig. Dein Vater wird es verbieten.«
    »Ich bin fast volljährig. Und außerdem könnte ich immer noch durchbrennen, wenn ihr mich dazu zwingt.«
    »Aber du kennst ihn kaum! Wie…«
    »Ich bin zu der Dichterlesung bei Hatchards gegangen, Mutter. Und seither habe ich ihn mindestens zweimal pro Woche gesehen. Wir gehen zu Vorträgen, in Galerien und Konzerte.«
    »Aber du solltest einen jungen Mann heiraten! Sogar ein Studium wäre noch besser als das.«
    »Er ist hochgebildet und der interessanteste Mann, den ich je in meinem Leben kennenlernen werde. Morgen wird er Vater aufsuchen.«
    »Dein Vater wird ihn aus dem Haus werfen.«
    »Das bezweifle ich. Colonel Meredith

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