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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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benachrichtigen«, erklärte sie, »aber als man mich schließlich hierhergebracht hat, waren die Büros schon zu. Du mußt Kaution für mich zahlen, Vater. Ich muß nach Hause zu Helen.«
    »Wie ich höre, hast du Fenster eingeschlagen«, erwiderte er ruhig.
    Die Kampagne der Suffragetten, Fenster einzuschlagen, Golfplätze zu beschädigen und sogar einzelne Brandstiftungen zu begehen – allerdings so ausgewählt, daß niemand verletzt wurde –, hatte im letzten November begonnen, nachdem die liberale Regierung mit Unterstützung des konservativen Königs Georg alle Reformvorschläge ignoriert und schließlich das Faß zum Überlaufen gebracht hatte, indem Arbeiter mehr Stimmrecht erhielten, Frauen jedoch keines.
    Violet war bisher nicht an solchen Aktionen beteiligt. Doch als sie auf dem Rückweg von einer Kundgebung sah, wie Polizisten äußerst grob mit einer Frau umsprangen, die, eher vorsichtig, eine Fensterscheibe einschlug, hatte sie in einem Wutanfall selbst mit ihrem Regenschirm gegen die Scheiben gedroschen. Das hatte für eine Verhaftung gereicht.
    »Ich bin sicher, du könntest die Polizei überreden, mich über Nacht gehen zu lassen«, drängte Violet.
    »Ja, ich denke schon. Aber ich tue es nicht, Violet. Ich hole Helen jetzt ab. Es tut mir leid, aber so etwas kann man nicht zulassen. Helen kommt mit mir nach Bocton.«
    »Ich komme sofort nach und hole sie zurück!« schrie sie.
    »Das bezweifle ich. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß du ins Gefängnis gehst.« Es erwies sich, daß er recht hatte. Sie bekam drei Monate.
    Die Hochzeit von Percy Fleming und Jenny Ducket – obwohl zu Percys Erstaunen Dogget auf der Heiratsurkunde stand – fand im Sommer statt. Zugegen waren Herbert und Maisie, die gar nicht erfreut war, und Mrs. Silversleeves. Ihren Vater oder Bruder hatte Jenny nicht eingeladen. Auf besondere Bitte seiner Mutter kam ihr Sohn, Rechtsanwalt Silversleeves, und übernahm die Rolle des Brautführers.
    Die Überraschung kam, als die alte Lady schon fort war. Mr. Silversleeves nahm das Paar beiseite. »Meine Mutter hat mir Ihr Hochzeitsgeschenk anvertraut«, erklärte er, »und ich soll es Ihnen persönlich überreichen.« Es war ein Scheck über sechshundert Pfund.
    »Aber… ich kann nicht!« rief Jenny. »Ich meine, nur weil ich meine Arbeit getan habe…«
    »Sie besteht darauf, daß Sie es nehmen«, erwiderte er. »Das sind meine Anweisungen.«
    Jenny und Percy kauften sich ein kleines Haus in Crystal Palace.
    Eine noch größere Überraschung für sie beide kam im kommenden Frühjahr. Zuerst sagte Jenny nichts. Nach einem weiteren Monat ging sie ein wenig beunruhigt zum Arzt. Als sie ihm sagte, das sei unmöglich, versicherte er ihr das Gegenteil. Als sie am Abend Percy fragte, fing er an zu lachen. Er wußte, daß er sie wegen seiner Zeugungsunfähigkeit angelogen hatte, aber das andere hatte er nicht vorgesehen, und im Sommer wurde ihr Sohn geboren.
    Der hervorragende Mr. Tyrell-Ford in der Harley Street hatte dummes Zeug erzählt.

DER BLITZKRIEG
1940
MORGEN
    »ICH MUSS EIN GLÜCKSKIND SEIN.« Eigentlich hätte Charlie Dogget vor ein paar Stunden tot sein müssen.
    Die Sonne war bereits aufgegangen, der Himmel war hellblau. Als sie über die Tower Bridge fuhren, sah Charlie Dutzende Seemöwen, die über dem Fluß kreisten und die Luft mit ihren Schreien erfüllten. Er und die anderen Feuerwehrmänner hatten die Helme abgenommen, froh, nach der langen, heißen Nachtschicht die kühle Morgenluft auf dem Gesicht zu spüren. Hinter ihnen stieg nach einer weiteren Nacht von Hitlers Blitzkrieg immer noch Rauch über dem Eastend und der City auf – und was Charlie betraf, hatten sie ein Wunder erlebt.
    Aber für den fröhlichen Cockney mit der weißen Strähne im Haar war immer alles gut ausgegangen. Selbst während der harten Zeit im Eastend hatte er das Leben immer heiter genommen. Etwa die Geschichte mit seinem Vater und seiner Tante Jenny. »Deine reiche Tante Jenny will uns nicht mehr kennen«, sagte sein Vater immer. »Hat uns nicht einmal zu ihrer Hochzeit eingeladen.« Aber sie schickte Geschenke zu Weihnachten, und für Charlie war allein schon ihre Existenz ein Ansporn. Wenn ein Familienmitglied aus dem Eastend heraus- und in der Welt vorankommen konnte, dann würde er das auch schaffen.
    Er verstand, warum sein Vater und die meisten Männer, die er kannte, verbittert waren. Es gab nicht genügend feste Arbeitsstellen in den Docks, und selbst wenn man eine hatte, war

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