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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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nach Hastings gezogen oder sonst wohin.«
    »Bin ich auch. Und jetzt bin ich wieder da. Diese Badeorte sind nichts für mich, nur alte Leute. Und Junkies und Schwuchteln. Im Herzen bin ich doch ein Großstadtjunge. Bei den Säufern und Negern weiß ich wenigstens, woran ich bin.«
    Ich krümmte mich innerlich bei der Wortwahl. Seine Stimme und seine Ausdrücke kannte ich noch aus frühester Kindheit.
    Sein Haar war fettig und ziemlich lang. Er war unrasiert und sonnenverbrannt   – nicht gebräunt, sondern kackbraun. Als ob er den ganzen Tag draußen vor dem Pub herumhockte.Was er wahrscheinlich auch tat, in Anbetracht des Bierbauchs, der sich aus seinem ansonsten so abgemagerten Körper herauswölbte. Ich hatte regelrecht Schuldgefühle, dass ich nicht mal ansatzweise etwas für ihn empfand. Aber vermutlich war seine lange Abwesenheit auch ein Zeichen dafür, dass von seiner Seite her ebenso wenig da war.
    »Du weißt, dass Steve tot ist?«, fragte ich.
    Er rieb sich mit seiner schmierigen Hand die Augen, als müsste er sich ein paar Emotionen rausquetschen oder zumindest seine blutunterlaufenen Augen zum Tränen bringen.
    »Hab ich gehört«, sagte er. »Üble Nachricht.« Er nahm einen Beutel raus und drehte sich eine Kippe. Ich sah auf die Uhr: elf Uhr fünfzig.
    »Ich muss jetzt los«, erklärte ich.
    »Sieht so aus, als kämst du gut zurecht, Sonny«, sagte er und steckte sich seine Zigarette an.
    »Man beißt sich so durch«, antwortete ich unbestimmt. »Hör mal, nenn mich nicht so. Das war einmal. Jetzt bin ich für alle Eddie.«
    »Für mich bist du immer noch mein Sonny«, sagte er und machte einen auf sentimental, indem er sich eine nicht vorhandene Träne aus dem Auge tupfte.
    Ich kaufte ihm das keine Sekunde lang ab. »Dann denk um«, sagte ich. »Wär besser, wenn du überhaupt aufhörst, an mich zu denken   – oder mich zu sehen.«
    »Ist wohl meine eigene Schuld, was?« Er zuckte die Achseln. »Könntest du deinem alten Herrn vielleicht trotzdem etwas unter die Arme greifen, nur bis nächste Woche?«
    Ich angelte in meiner hinteren Hosentasche nach demGeldbeutel und gab ihm einen Zwanziger. »Hier«, sagte ich. »Es gehört dir. Brauchst es mir nicht zurückzugeben, dann muss ich dich auch nie wieder sehen.«
    Er wog seine Möglichkeiten ab. Sah auf den Schein. »Mach einen Fünfziger draus und du bist mich los«, sagte er.
    Ich kramte noch zwei Zwanziger hervor und reichte sie ihm.
    »Guter Junge«, sagte er. »Wusste immer, aus dir wird mal was   … Eddie.« Er klopfte mir auf die Schulter, drehte auf dem Absatz um und machte sich vom Gottesacker.
     
    Zu meiner Verabredung mit Anna kam ich ein paar Minuten zu spät. Sie saß auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig Richtung Osten und trug einen weißen Regenmantel mit Gürtel.
    Ich schlenderte den Bahnsteig nach Westen entlang, als ob ich auf den Zug wartete. Sobald sie mich entdeckt hatte, ging ich die Stufen hinunter zum Fahrscheinverkauf. Anna nahm die andere Treppe. Nachdem sie den Bahnhof verlassen hatte, folgte ich ihr über die belebte Hauptstraße runter zum Markt. Dort drängten sich Besucher aller Art zu den Reggaeklängen von einem C D-Stand . Annas Aufmachung war nicht übermäßig sexy, aber trotzdem riefen ihr die Standler nach, wie immer darauf aus, gut aussehende Mädchen ins Gespräch zu verwickeln.
    »Hallo, Schätzchen, schau dir doch mal meine Riesenpflaumen an   …«
    »Lach doch mal, Honigbienchen, so schlimm kann’s doch nicht sein   …«
    Die hemmungslosen Marktschreier von Südlondon.
    Besonders unauffällig war sie nicht gerade, fand ich. Sie musste das Gleiche gedacht haben, denn sie duckte sich zwischen den Ständen hindurch und ging eine Weile hinter ihnen weiter, immer die Straße runter, bis die Stände spärlicher wurden. Dann betrat sie ein graues Haus, eine Galerie für zeitgenössische Kunst. Ich folgte ihr und machte einen Rundgang durch die Ausstellung, immer in die Gegenrichtung, bis ich endlich neben Anna stand und mir dasselbe Bild ansah wie sie.
    »Das hier gefällt mir ziemlich gut«, sagte sie. Es war die große, bunte Darstellung eines Comic-Cowboys, der vor einer Graffitiwand stand. Aus der Leinwand ragten große Spritzer Acrylfarbe.
    »Ja, nicht schlecht.« Ich mochte es wirklich. »Tut mir leid wegen der Verspätung. Bin in jemand reingerannt, den ich nicht sehen wollte.«
    »Wen?« Anna klang besorgt. Ihr Blick hing immer noch am Bild, als ob sie noch darüber redete.
    »Meinen Dad«, sagte

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