Long Reach
drüber nach. Sonst noch was?«
Im Geist ging ich noch mal alles durch, schaute die Notizen an, die ich mir gemacht hatte. Ich hatte ihm erzählt, dass das Kelly-Boot umbenannt worden war, und auch den Ablegeort und die ungefähre Zeit nennen können. Ihm gesagt, wer mitsegelte und wohin. Das Warum herauszufinden, war sein Job. Wenn ihm irgendwas davon schon bekannt gewesen war, ließ er sich das nicht anmerken. Ich hatte das Gefühl, Ian Baylis eine Menge Informationen serviert zu haben. Er konnte heute Abend jemanden zum Hafen von Gosport schicken, um am Boot einen Peilsender anzubringen. Konnte jemanden bereitstellen, um in Honfleur nach ihnen Ausschau zu halten. Mit dem, was ich ihm geliefert hatte, konnte er die ganze Reise überwachenund trotzdem fragte er, ob ich nicht noch mehr hatte.
»Das war’s«, sagte ich, ein wenig angefressen, dass er meine Bemühungen so wenig zu schätzen wusste. Endlich hatte ich etwas zu vermelden, und wenn ich ehrlich war, fühlte ich mich bei der Teilnahmslosigkeit, mit der Baylis auf meinen Bericht reagierte, ziemlich unter Wert verkauft. Ich fand, er könnte mich ruhig ein bisschen mehr unterstützen. Außerdem konnte ich ihn nicht leiden, Sophie aber schon, und es war kein gutes Gefühl, jemanden, den ich mochte, an jemanden zu verraten, den ich nicht mochte. Gegen jeden Instinkt.
Für diese Woche hatte er genug bekommen, wo er seine Zähne reinschlagen konnte, und ich hatte eine kleine Auszeit dringend nötig. Ich legte auf.
Eine Stunde später kam ein Anruf von Tony. »Gutes Material«, sagte er. »Ian hat mich informiert. Du kommst prima voran.«
»Danke, Tony. Freut mich, dass du das denkst. Wär ich nie draufgekommen, nach dem Gespräch mit Baylis.«
»Du weißt doch, wie er ist«, beschwichtigte Tony. »Ein ziemlich ernster Bursche. Keiner, der in Begeisterungsstürme ausbricht. Aber er findet auch, dass du deine Sache gut machst.«
»Hat er was von der Wohnung gesagt?«, fragte ich.
»Ja, er hat was erwähnt. Um ehrlich zu sein, ich hatte nicht damit gerechnet, dass du ihr so schnell so nahe kommst.«
Ich spürte, wie ich ganz rot wurde. »Ist doch ziemlich normal, dass man Leute zu sich einlädt, oder?«
»Klar ist es das«, sagte Tony. »Aber wir können nicht riskieren, dass jemand die Wohnung sieht. Besonders jemand, der … drinhängt.«
»Also, was soll ich machen? Ihr sagen, dass sie nicht in meine Wohnung kann? Ich glaube, das führt uns in eine ziemliche Sackgasse, oder etwa nicht?«
»Du hast recht«, sagte er. »Ich kümmere mich drum. Ich sprech mal mit Anna darüber. Sie ruft dich dann an.«
Zweiundzwanzig
»Eddie?«
»Ja?«
»Hier ist Anna. Hi. Kannst du mich an der Bahn in Deptford treffen, um zwölf?«
Ich sah auf die Uhr. Es war halb elf und ich war immer noch in Boxershorts. Es war Samstag und den größten Teil des Morgens hatte ich damit zugebracht, Tee zu trinken, mich am Sack zu kratzen und herumzuzappen. »Klar.«
»Keine großen Begrüßungsarien«, fuhr sie fort. »Einfach das übliche Protokoll, und wenn du mich siehst, folge mir Richtung Hauptstraße. Wir verschwinden dann über den Markt.«
Irgendwas in ihrem Ton machte mich etwas unruhig. Ich wusste nicht, ob es die Spannung war, die ich aus ihrer Stimme herauszuhören meinte, oder weil Sophie weg war und ich Anna allein sehen würde. Ich duschte und zog mich an, und eine Stunde später war ich unterwegs. Wie üblich warf ich einen prüfenden Blick auf die geparkten Autos. Nichts Auffälliges. Ich machte mich auf den Weg, den Fluss entlang.
Nach ein paar Minuten wurde mir bewusst, dass mir jemand folgte. Ich ging schneller und bog dann in einen kleinen Weg neben der Kirche ein. Ich duckte mich hinter den Torpfosten und wartete, bis die Gestalt vorbeilief. Umsonst. Der Mann bog direkt nach mir ein und wäre beinahe mit mir zusammengerempelt.
»Sonny?«, fragte er. Das war ein Spitzname aus meiner Kindheit, den ich schon Jahre nicht mehr gehört hatte.
Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich meinen Alten zuletzt gesehen hatte. Vielleicht, als Steve ihn damals hinausschmiss, nachdem er Mum geschlagen hatte. Instinktiv schaute ich mich sofort um, ob uns auch niemand gesehen hatte. Der Kirchhof war verwaist, bis auf einen Alki, der auf einer fernen Bank schlief, und ein paar Krähen.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte ich leise.
»Zufall«, sagte er. »Nach dir gesucht hab ich nicht. Hab dich neulich gesehen. Auf dem Weg nach Greenwich.«
»Ich dachte, du wärst
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