Long Reach
glaube, ich weiß, was Sie meinen«, sagte ich endlich.
Tommy lächelte. »Aus dem, was sie an ihrer Wand hängen haben, kann man viel über Leute herauslesen«, sagte er. »Wenn man genau hinsieht und sich eine eigene Meinung bildet.« Er legte mir die Hand schwer auf die Schulter und drückte zu.
»Mum sagt, das Essen ist fertig«, rief Sophie durch die Tür. Sie hatte mich eine Minute allein in der Löwengrube gelassen. Mir war es wie eine Stunde vorgekommen. Sie zwinkerte mir zu. Ich schlug mich gut.
Tommy Kelly führte mich aus dem Zimmer, die Hand immer noch auf meiner Schulter. »Nach dem Essen mach ich mit dir eine Spritztour mit dem Bristol«, verkündete er. Wieder drückte er meine Schulter, bis es fast wehtat. »Dann lernst du mal ein richtiges Auto kennen.«
Siebenundzwanzig
Zu Mittag gab es Räucherlachs, gefolgt von einem schweren Rindfleischeintopf. Schien mir französisch. In Rotwein gekocht, mit einer dicken Sauce voll winziger Zwiebeln und Pilze. Darauf schwammen Kräuterklößchen. Mir wurde bewusst, dass ich noch nie bei irgendjemand zu Hause etwas so Köstliches gegessen hatte. Nicht dass ich bei so vielen Leuten zum Essen geblieben wäre, und diese paar Mahlzeiten waren auch meistens auf Fischstäbchen, Bohnen und Burger beschränkt gewesen.
Ja, das war bei Weitem das beste Essen, das man mir jemals außerhalb eines Restaurants vorgesetzt hatte, und das sagte ich Cheryl. Sie lächelte und erklärte, dass Tommy gekocht habe. Das warf mich etwas aus der Bahn, aber meine Bemerkung kam gut an beim Boss. Er grinste mich an und beschrieb, wie einfach es zuzubereiten sei: Rindfleischwürfel, Speck, Champignons, Schalotten und eine Flasche billiger Burgunder. Enthusiastisch spielte er die Bewegungen bei der Zubereitung durch: das Rindfleisch anbraten, die Schalotten und den Speck kurz dazugeben.
»Tommy ist ein Ass hinterm Herd«, sagte Cheryl.
Tommy zuckte die Achseln. »Nur Nachtische liegen mir nicht so.« Er sah mich an. »In der Nachtischabteilung regiert die Gattin.« Er rieb sich den kleinen Bauch, der unter dem Kaschmir schwoll. »Den hier hab ich Cheryl zu verdanken, nicht, Liebling?«
Sie machte ein paar abwehrende Geräusche und unter dem Tisch grabschte er nach ihrem Bein. Cheryl quietschte auf. Aus dem Blick, den sie ihm zuwarf, konnte ich ablesen, dass sie es immer noch bei jeder Gelegenheit miteinander trieben. Dieser intime Moment musste mir die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben. Vielleicht schaute ich auch kurz weg, denn Sophie kam mir zu Hilfe.
»Dad«, kreischte sie. »Benehmt euch, Eddie ist da.«
»Pardon, Ed«, sagte Tommy.
»Nein, stört mich ehrlich nicht«, gab ich zurück. »Ist schön, mal ein bisschen Liebe mitzukriegen.«
Alle lachten und ich ergriff die Chance, den Tisch abzuräumen.
»Gut dressiert ist er ja, Soph.« Cheryl lächelte, während sie mich beobachtete. Sophie gab ihrer Mutter einen spielerischen Klaps auf den Arm.
Gut dressiert war ich allerdings. Gut genug, um eine magnetische Wanze unter dem Geschirrspüler zu platzieren, als ich mich während des Einräumens nach einer heruntergefallenen Gabel bückte. Ich kehrte zum Tisch zurück und bemühte mich um ein gefasstes Gesicht, obwohl mein Herz wie ein Vorschlaghammer wummerte. Tommy Kelly schenkte mir noch mehr Wein ein.
»Schmeckt dir das Gesöff, Eddie?«, erkundigte er sich. »Das ist ein Rioja. Spanisch.« Ich nahm noch einen Schluck.»Ich würde ja liebend gerne sagen, dass er von meinen andalusischen Ländereien kommt, aber in Wirklichkeit hat ihn Cheryl bei Sainsbury’s mitgenommen. Sollte um die zwölf Pfund die Flasche kosten, aber sie hauen ihn für sechs neunundneunzig raus. Kann man nicht Nein sagen.«
»Mit Wein kenn ich mich überhaupt nicht aus«, gab ich zu. »Aber ich finde ihn gut.«
»Nach was schmeckt er?«, fragte Tommy.
Seine blassblauen Augen nahmen mich ins Visier. Noch ein Test. Ich dachte tief nach und versuchte, die Sinneseindrücke in meinem Mund festzumachen.
»Holz?«, schlug ich vor.
»Sehr gut«, sagte Tommy. »In Eichenfässern gereift. Ist auch ein bisschen Vanille dabei?«
Ich nahm noch einen Schluck und da war es, wie der Nachgeschmack eines Biskuittörtchens. »Ich weiß, was Sie meinen.«
Tommy nickte und sein Blick ruhte noch auf mir, als Cheryl den Rhabarberauflauf auftischte. »Hast du gewusst, dass der erste Rhabarber als Obst ganz in deiner Nähe verkauft wurde, auf dem Markt in Deptford?«
»Wusste ich nicht«, gab ich
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