Lord Camerons Versuchung
durchnässt und ohne den Koffer, mit dem er abgereist war. Und ohne den Diener. Er habe beide in Cambridge gelassen, erklärte er.
Cameron war rot vor Zorn, der seinen Highland-Akzent stärker als sonst durchscheinen ließ. »Verdammt, Junge, kannst du nicht ein Mal da bleiben, wo du sein sollst?«
»Auf einer verdammt langweiligen englischen Universität?« Daniel ließ sich auf das Sofa fallen, sein nasser Mantel hinterließ Flecken auf einem der Kissen, die Ainsley vor Kurzem fertig gestickt hatte. »Während du mit Ainsley hier in Paris bist? Keine Chance. Ich muss nicht zur Universität gehen, Dad, besonders nicht mit denselben Burschen, die ich schon aus Harrow kenne und die mir erzählen, was sie tun werden, wenn sie erst das Land regieren. Gott schütze uns. Ich werde dir dabei helfen, die Ponys zu trainieren.«
Cameron wandte sich zum Fenster und starrte hinaus. Er atmete schwer und versuchte, sich zu beherrschen, bemerkte Ainsley. Er wollte nicht explodieren und seinen Sohn anbrüllen.
Ainsley setzte sich neben Daniel und rettete ihr Kissen. »Danny, die Bekanntschaften, die du an der Universität pflegst, könnten genau die sein, die dir später ihre Pferde zur Ausbildung schicken.«
Daniel verdrehte die Augen. »Ich will keine Bekanntschaften pflegen, ich will etwas lernen. Die Professoren von Corpus Christi sind alt und reden eine Menge über Philosophie und solchen Blödsinn. Es ist lächerlich. Ich will gute schottische Ingenieurwissenschaften lernen.«
»Das mag sein, aber ich denke mir, dass dein Vater eine Menge Geld bezahlt hat, um dich nach Cambridge zu schicken.«
Daniel sah nicht im Mindesten beschämt aus. »Ich werde es zurückzahlen.«
Cameron wandte sich zu ihm um, noch immer eisern beherrscht. »Das ist nicht der Punkt, mein Sohn. Der Punkt ist, dass ich dich irgendwohin schicke und du jedes Mal wieder fortläufst, immer und immer wieder.«
»Ich will nicht weggeschickt werden! Ich will bei dir bleiben. Was ist daran falsch?«
»Mein Leben hier ist keines, das ein Schuljunge führen sollte, verdammt.« Cameron konnte sich gerade noch davon abhalten, loszubrüllen. »Meine Freunde sind nicht der beste Umgang, und ich will dich nicht in ihrer Nähe wissen.«
»Das weiß ich«, sagte Daniel. »Ich habe sie schließlich kennengelernt. Aber warum willst du dann Ainsley in ihrer Nähe haben?«
»Das will ich nicht.«
Während sie Camerons Aufgebrachtheit beobachtete, wurde Ainsley klar, dass er es wirklich nicht wollte. Camerons Pariser Bekannte waren Leute, die sich dem müßigen Leben so ausgiebig hingaben, wie sie nur konnten – die ganze Nacht ausgehen, den ganzen Tag schlafen, Geld ausgeben, ohne sich Gedanken darüber zu machen.
Anfangs hatte Ainsley es aufregend gefunden, aber sie hatte bald festgestellt, dass es keine Ruhe in diesem Leben gab, kein Nachdenken, keine Wahrnehmung von Schönheit um ihrer selbst willen und vor allem keine Liebe. Was Camerons Freunde Liebe nannten, war Vernarrtheit und Besessenheit, die mit Wildheit begann und in Streit und einem Drama endete, manchmal auch in Gewalt.
Camerons Freunde waren heißblütige Menschen, und er war so heißblütig wie sie. Er dachte sich nichts dabei, Ainsley in der Öffentlichkeit zu küssen oder sie eng umschlungen zu halten, und seine Freunde sahen es mit Erheiterung, keinesfalls jedoch mit Befremden. Jeden Abend gingen sie in ein anderes Theaterstück oder in die Oper oder zu einer Gesellschaft, die bis zum Morgen dauerte. Jeden Abend trug Ainsley ein anderes Kleid, und Cameron behängte sie jedes Mal mit neuem wertvollem Schmuck.
Aber diese Leute kannten kein stilles Glück. Es gab kein Handausstrecken nach einem Freund, keinen Freund, der einem tröstend die Hand reichte.
»Dann sollten wir abreisen«, sagte Ainsley.
»Warum?«, fragte Cameron. »Bist du des Lebens hier bereits überdrüssig?«
»Nein, aber du bist es.«
Cameron schaute finster in Ainsleys allwissende graue Augen. Musste sie denn alles an ihm und über ihn verstehen? »Wer zu Hölle hat dir das gesagt?«
»Das muss mir niemand sagen«, entgegnete Ainsley. »Du fühlst dich nicht wohl mit diesem Leben, und das weißt du. Wenn du draußen in der Natur bist und die Pferde trainierst oder sie auch nur beobachtest, bist du weitaus umgänglicher und verträglicher. Zu viele Nächte bei künstlichem Licht, und du fängst an zu knurren.«
Cameron gab ein Brummen zur Antwort, und Ainsley lächelte. »Siehst du, genau das meine ich. Bleib nicht
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