Lord der toten Seelen: Royal House of Shadows (German Edition)
nachdem sie den Käse auf den Boden gelegt hatte. Erst als ihr Freund sein Mahl verspeist hatte, ging sie noch einmal zurück, um ihm ein zweites Stück hinzulegen. Es war nicht gut, ihn zu schnell zu füttern, wenn er so lange gehungert hatte.
Das galt auch für den Lord der Schwarzen Burg.
Sie hatte zu schnell zu viel gewollt, als sie gleich von Elden und seinem Vater angefangen hatte, nur weil sie wusste, dass die Zeit unerbittlich knapper wurde. Aus seiner heftigen Reaktion auf König Aelfrics Namen folgerte sie, dass der Zauber des Blutmagiers noch tiefer reichte, als sie geglaubt hatte. Nicht einmal ein Riss zeigte sich in der Schale des schwarzen Panzers, der ihn vor seiner Vergangenheit abschottete.
Die Sorge lag bleischwer in ihren Eingeweiden und raubte ihrem Mahl den Geschmack, aber sie zwang sich, es trotzdem aufzuessen und danach noch einen kleinen Apfel. Alle Macht, die sie hatte, kam aus ihrem eigenen Blut, und sie konnte sich nicht erlauben, dieses Blut dünn und schwach werden zu lassen. Sollte ihr Vater sie finden …
Galle, bitter und sauer, stieg in ihrer Kehle hoch.
„Nein“, flüsterte sie. „
Nein.“
Er würde sie nicht finden. Sie hatte den Aufenthaltsort des jüngsten Prinzen erst durch ihre Visionen ausfindig gemacht, und selbst dann hatte sie noch fünf Versuche gebraucht, um in die Welt zu gelangen, die den meisten nur als schreckliche Legende bekannt war. Die ersten zwei fehlgeschlagenen Versuche waren nicht so schlimm gewesen – sie hatte nach Hause zurückkehren können, ehe ihr Vater etwas bemerkte. Beim dritten Mal hatte sie sich den Arm gebrochen, weil sie falsch gelandet war, und beim vierten … hatte der Blutmagier sie erwartet.
Ihre Haut zog sich zusammen, als ob sie wieder die Rasiermesserpeitsche darauf spürte.
„Aber ich bin nicht gebrochen.“ Das musste sie sich immer in Erinnerung rufen. In jener Nacht, als sie mit aufgepeitschtem Rücken dagelegen hatte, nackt an eine massive Steintafel gekettet, durch deren Rillen ihr Blut in Sammelbehälter floss, hatte sie den Blutmagier davon überzeugen können, dass ihre Zauber nur dem Ziel dienten, einen Talisman zu finden, der ihre Mutter heilen konnte.
Er hatte ihr geglaubt. Es hatte ihn schrecklich amüsiert, wie weh es ihr tat, dass Irina sie nie auch nur ansah.
„Egal, was du tust …“, er hielt inne, um mit dem Finger eine nässende Wunde entlangzufahren, „sie gehört mir.“ Er lachte, als er einen Schritt zurücktrat und die Peitsche fast halbherzig über ihren bereits zerschundenen Rücken schnalzen ließ.
Blut quoll aus ihrem wunden Fleisch, lief ihre Rippen hinab in die Rillen. „Sie ist meine Mutter.“ Eine Mutter, die sie liebte.
Noch ein Lachen, aus tiefster Brust, als hätte er im Leben noch nicht so etwas Lächerliches gehört. „Dann erlaube ich dir, diesen wundervollen Talisman zu finden. Zeig ihn mir, wenn du ihn hast.“ Ein Peitschenhieb auf ihre Schulter. „Ich denke, meinen Haustierchen wird die Zeit mit dir Spaß machen.“
Spinnen – riesige mutierte Tiere, die er für einen anderen Zauber brauchte – fielen von der Decke und krabbelten über ihren ganzen Körper. Pelzige Beine kratzten an ihrem Fleisch, zangenbewehrte Mäuler saugten an den offenen Wunden auf ihrem Rücken. Voller Panik versuchte sie, mithilfe ihrer Zauberkraft zu fliehen, aber ihr Vater war stärker, und die Fesseln hielten stand.
Die ganze Zeit, während die Spinnen sie terrorisierten, saß er so, dass sie ihn sehen konnte, und trug ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.
Der Wächter des Abgrunds glitt am Himmel entlang. Seine Flügel durchschnitten die Nachtluft wie die der Fledermaus zu seiner Rechten, dunkel und ledrig. Er wusste nicht, was mit den Flügeln passierte, wenn er landete – sie erschienen einfach, wenn er sie brauchte, und verschwanden, wenn er sie nicht mehr wünschte.
Ein Geschenk des Abgrundes.
Er dachte an Lilianas Geschichte von einer Welt ohne Magie und schnaubte erneut. Als könnte ein solches Land je existieren. Einen Augenblick später kam ihm der andere Teil der Geschichte in den Sinn, über
jenen
Ort, dessen Namen er nicht denken konnte, ohne rasende Kopfschmerzen zu bekommen, als würde ein Amboss von innen gegen seinen Schädel geschlagen. Er flog schneller und schneller, um dem unnachgiebigen Druck zu entfliehen.
Ein Flüstern von öliger Bosheit.
Nachdem er seine Beute ausfindig gemacht hatte, bewegte er sich mit wilder Geschwindigkeit darauf zu. Der Schatten in
Weitere Kostenlose Bücher