Lord der toten Seelen: Royal House of Shadows (German Edition)
er endlich seine Mahlzeit und stand auf. Er nahm noch eine Scheibe von dem gerösteten Früchtebrot und trat dicht vor sie. „Versuch es. Es ist sehr gut.“
Sie nahm es mit düsterer Miene entgegen, mit der sie ihre innere Verletzlichkeit zu verbergen versuchte. „Ich weiß. Ich habe es gemacht.“ Sie aß, obwohl sie nicht hungrig war, da sie während des Backens genascht hatte. Dann kniff sie die Augen zusammen, als er sich weiter über sie beugte. „Was noch?“
„Mein Lord.“
Oh, ich könnte ihn einfach …
„Mein Lord.“
„Das kam nicht von Herzen.“
Sie lächelte, weil sie es sich nicht nur einbildete – er neckte sie wirklich. Sie aß das Brot auf und sank dann in einen lächerlich kunstvollen Knicks. „Oh, mein Lord“, flötete sie und klimperte mit den Wimpern, „was kann ich arme kleine Magd noch für Euch tun?“
Ein rostiges Geräusch, grob und rau. Sie sah erschrocken auf – und merkte, dass der Wächter des Abgrundes lachte. Er war noch eindrucksvoller, als sie es sich vorgestellt hatte.
„Warum starrst du so?“, fragte er und hielt mitten im Lachen inne.
„Ich wusste nicht, dass Ihr lachen könnt.“
Eine Stille legte sich über den Raum, als hielten selbst die Geister den Atem an.
Zwischen seinen Brauen bildeten sich Furchen. „Ich erinnere mich nicht, schon einmal gelacht zu haben.“
„Hat es Euch gefallen?“
Er dachte darüber nach. „Es fühlte sich seltsam an.“ Weiter antwortete er ihr nicht, stattdessen sagte er: „Komm, ich zeige dir, wo du baden wirst.“
Wirst
, nicht
darfst
oder gar
kannst
.
Sie knirschte mit den Zähnen, unterdrückte den Impuls, böse Flüche auf seinen goldenen Schopf hinabregnen zu lassen, und folgte ihm aus der Großen Halle hinaus. Nachdem sie durch eine Tür auf einen düsteren Korridor getreten waren, der in ein Nichts führte, das alles Licht in sich zu verschlucken schien, führte er sie eine Treppe hinauf, die von einem kleinen Fenster am mittleren Absatz nur spärlich beleuchtet wurde.
„Warum muss es hier drinnen so dunkel sein?“, murmelte sie. „Man kann jederzeit stolpern und sich den Hals brechen.“
„Das hier ist die Schwarze Burg.“
„Ich weiß, dass dies die Pforte zum Abgrund ist,
mein Lord
, aber Ihr habt doch wohl nicht vor, hier auf Eurer Treppe Seelen zu ernten.“
Er sah erst sie an und dann das kleine Fenster, das jetzt in ihrem Rücken lag. „Ich kann im Dunkeln sehen.“
Sie horchte auf. „Wirklich?“ Aber sie wusste schon, dass er nicht log. Wie sonst sollte er in pechschwarzer Nacht jagen können?
Er ging weiter die Treppe hinauf, ohne ihr zu antworten, und seine Rüstung glänzte selbst in diesem schwachen Licht. Sie starrte ihm nach, und ihr kam eine weitere Frage in den Sinn. „Wie badet Ihr?“
„Mistress Liliana, Ihr stellt die merkwürdigsten Fragen.“ Er drehte sich um und starrte sie voll dunkler Verlockung an. „Willst du dir ein Bad mit mir teilen?“
„Ich meine die Rüstung“, sagte sie mit brennenden Wangen, „sie geht nicht ab – oder doch?“ Falls doch, dann hatte ihr Vater einen Fehler gemacht.
Bitte, lass es so sein.
Er blieb mit der Hand auf dem Geländer stehen. „Das muss sie, denn ich bin sauber.“ Aber er klang nicht sehr sicher. „Ich erinnere mich nicht daran, aber ich weiß, dass ich bade.“
Das war ein Rätsel und eines, für dessen Lösung sie in seiner Nähe bleiben musste. Es würde ihr nicht allzu schwer fallen … Nicht nur, weil der Wächter des Abgrunds ein wunderschönes Monster war. Sie hatte Schönheit in der Burg ihres Vaters kennengelernt – der Blutmagier selbst war ein hässlicher Mann, aber er hielt sich die atemberaubendsten Männer und Frauen als Höflinge. Doch sie hatte nur ein paar Spöttereien belauschen, eine verächtliche Grimasse hier und da bemerken müssen, um zu lernen, dass äußerliche Schönheit nichts über den Menschen dahinter aussagte.
Doch der Wächter – er hatte einen seltsamen Charme an sich, eine Wildheit voller Unschuld, die sie selbst schon lange verloren hatte. Er schien wirklich nicht zu begreifen, welchen Eindruck sein Aussehen machte, weil er in der Schwarzen Burg gefangen war und sowohl von seiner Beute als auch vom Volk seiner Welt nur mit Angst angesehen wurde. Wie klug er war, wusste er allerdings. Und Liliana stellte fest, dass ein tödlich faszinierender Verstand eine ebenso sündige Versuchung war wie die Lippen, die sie lecken wollte.
„Ihr wollt doch sicherlich nicht, dass ich verende,
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